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Projekt Fünf Gesichter der Gewalt

Fünf Menschen sitzen auf der Bühne in der Aula des Francisceums. Sie haben alle Gewalt erlebt.

Von Katrin Wurm 11.10.2015, 15:59

Zerbst l „Mein Name ist Lützek und ich muss hier mitmachen. Ich habe einen asiatischen Laden aufgemischt, weil die uns unsere Arbeit wegnehmen.“ Lützek hält inne, räuspert kurz und berichtet dann detaillierter: „Ich bin mit ein paar Kumpels in den Laden. Wir haben die Tür verriegelt. Der Besitzer saß im Hinterzimmer. Ihm habe ich beim Geld zählen die Hand gebrochen und mit dem Baseballschläger in die Fresse gehauen. Den Kopf der Kassierin habe ich mehrfach auf die Kasse gedonnert. Dafür habe ich 30 Monate bekommen. Zehn auf Bewährung“, sagt er.

Im Publikum sitzen die neunten Klassen des Francisceums. Sie sind mucksmäuschenstill. Können kaum glauben, was sie hören. Klaus Lützek ist einer von fünf Teilnehmern des Projektes „Berichte über Gewalt“.

Neben ihm sitzt Nicole. Sie hat eine Mitschülerin gemobbt, sie in den sozialen Netzwerken bloßgestellt. Nun ist ihre Mitschülerin tot. Sie ist aus dem Fenster gesprungen. In ihrem Abschiedsbrief gibt sie Nicole und deren Freundin die Schuld. Nicole sitzt nervös und mit verschränkten Armen vor den Schülern. Auch sie muss an dem Projekt teilnehmen. Zum Vorwurf des Mobbings sagt sie: „Wenn so eine blöde Sau mit ihrem Leben nicht klarkommt, was habe ich damit zu tun?“

Harald Baumann ist Lehrer. Er hat einen Schüler verprügelt. Von Schülern und Kollegen nicht ernst genommen, zutiefst enttäuscht und verbittert von dem ewig gleichen Spiel, begibt er sich immer stärker in eine Isolation, stellt sich ständig die Frage, welchen Wert seine Arbeit, seine Ideale haben. Am Ende sieht er nur einen Ausweg und schlägt zu.

Kathrin Wollschläger wird Zeugin einer versuchten Vergewaltigung. Sie geht dazwischen und wird dabei selbst verletzt. „Warum habe ich mich überhaupt eingemischt?“ sitzt sie fragend auf der Bühne.

Ümit Yildiz ist der fünfte Teilnehmer auf der Bühne. Sein Kumpel wurde vor einigen Jahren von Nazis verprügelt. „Jetzt sitzt er im Rollstuhl“, sagt Ümit mit einem Kloß im Hals. „Wenn ich so einen Naziwichser auf der Straße sehe, kriege ich das Kotzen!“, schreit er und zeigt auf Lützek.

Im Anschluss an die erschütternden Geständnisse der fünf Männer und Frauen haben die Schüler die Möglichkeit, mit ihnen zu reden. Fragen wie „warum hast du das gemacht?“ fallen. Einige Schüler versuchen, den Projektteilnehmern ins Gewissen zu reden.

Am Ende der Veranstaltung steht Nicole auf. Sie hat etwas zu sagen: „Mein Name ist Laura nicht Nicole. Wir alle sind Schauspieler. Wir alle haben diese Rollen nur gespielt. Doch all diese Geschichten sind wirklich passiert.“

Die fünf Schauspieler touren mit diesem Projekt durch ganz Deutschland, um Schüler aufzuklären und zu sensibilisieren.

„Wir unterstützen das Projekt schon seit vielen Jahren“, sagt Uwe Köppen von der Unfallkasse Sachsen-Anhalt. Die Unfallkasse organisiert für Schulen in ganz Sachsen-Anhalt die Aufführungen der Projektgruppe und finanziert diese. „Es ist immer wieder beeindruckend, wie die Schüler auf das Präsentierte reagieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie sich im Anschluss sehr mit dem Thema Gewalt beschäftigen“, so Köppen resümierend.