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Restaurantkritik „Wir liegen noch richtig“

Erneut 15 Punkte vom Gault&Millau bekam das Zerbster Park-Restaurant Vogelherd. Kein anderes Restaurant in Sachsen-Anhalt hat mehr.

Von Sebastian Siebert 11.11.2015, 20:00

Zerbst l Der Zerbster Vogelherd hat im ganzen Land einen Namen. Denn seit 1996 wird das kleine Restaurant in einem Waldstück bei Zerbst jährlich mit 15 von 20 „Gault&Millau“-Punkten ausgezeichnet. Zwei Hauben verleiht der französische Restaurantführer dem Zerbster Lokal somit jährlich.

Dass kein Restaurant im Land mehr Punkte erreicht, bewertet die Küchenchefin nicht über. „Dieses Mal hat ja auch jemand aus der Nähe von Magdeburg 15 Punkte erreicht. Das freut mich“, sagt sie. Christopher Franz heißt derjenige, der mit seiner „Bauernstub´n“ in Dahlenwahrsleben die gleiche Wertung erhielt.

Auf die Frage, wie es sich anfühle, dass beste Restaurant des Landes zu betreiben, sagt die 57-Jährige: „Ich weiß immer nicht, ob das so reell ist, wenn jemand nur einmal kommt.“ Andererseits könne man auch nicht schummeln, fügt sie an. „Die Soßen sind fertig, der Braten ist fertig, da kann man nicht sagen: Oh, da sitzt nun ein Tester draußen, jetzt geben wir uns besonders Mühe.“ Zumal den Tester auch niemand erkenne. „Für uns heißt das: Okay, wir liegen noch richtig. Es ist eine Bestätigung, dass es gut ist, was man macht.“ Natürlich könne es auch mal 13 oder 14 Punkte geben, das sei ihr bewusst. Sie denke, dass die Tester merken, dass alles in Handarbeit gefertigt werde.

Auch dieses Mal erkannte sie den Tester nicht. „Meist kommen sie so in den Sommermonaten. Als ich gelesen habe, dass er Reh gegessen hat, war klar, dass er irgendwann in den Wintermonaten hier gewesen sein muss. Die Tester geben sich danach auch nicht zu erkennen. Das machen die von Michelin.“ Auch die haben sie schon getestet.

Dass sie überhaupt von Gault&Millau kritisiert wird, hat seine Anfänge in den frühen 1990er Jahren. „Wir sind ein abgelegenes Lokal. Damals gab es viele Vertreter für irgendwelche Restaurantführer. Alles, was kostenfrei war, haben wir gemacht.“ Darunter war auch eine Anfrage eines Gastronomiekritikers, ob Gabriele Erdmann damit einverstanden sei, getestet zu werden. Sie erinnert sich noch daran, dass der Gast, der auffällig spät zu Mittag aß und Champagner bestellte, den sie nicht hatte, noch ein Stück Kuchen als Dessert verlangte. Statt des versprochenen frischgebackenen Pflaumenkuchens „hatten wir nur welchem im Kühlschrank. Der war eisekalt“, sagt sie und muss lachen. Das tat der Note offenbar keinen Abbruch. Seitdem füllt sie in jedem Jahr die Erlaubnis aus und wird auch in jedem Jahr getestet.

Besonders loben die Kritiker, dass im Parkrestaurant „Vogelherd“ regionale und saisonale Küche angeboten wird. Das sei schon immer so gewesen, sagt sie. Denn als sie das Restaurant 1987 eröffnete, musste sie sich ihre Zutaten aus der näheren Umgebung holen. Und die gab es nur saisonal. Etwas anderes zu tun, kam ihr auch nie in den Sinn. „Wenn ich wollte, könnte ich mir heute das Tier auf der Wiese aussuchen. Es kommt von hier, wird hier geschlachtet. Es kann kein besseres Fleisch geben“, sagt sie.

Auf der Karten finden sich auch vegetarische Gerichte – und zwar von jeher. Das ergebe sich einfach aus der Saisonalität, erzählt sie. „Vegan kochen wir auch. Das muss aber vorher bestellt werden.“ Ein veganes Vier-Gänge-Menü benötige schon einiges an Vorbereitung.

Und was ist mit Pommes? „Ja, eine Tüte haben wir meist da, für die Kinder. Und wenn nicht, machen wir die schnell selbst“, sagt sie. Sie richte aber alles dann noch mit Gemüse an. „Es ist immer schade, wenn das Gemüse wieder zurückkommt.“ Für jemanden, der so viel Freude an den vielen Geschmäckern der Region hat, ist das ein ziemlicher Stich ins Herz. Die meisten jedoch genießen das, was die Küchenchefin, die eigentlich Kauffrau lernte, und ihre drei weiteren Köche in Handarbeit herstellen. Dazu gibt es meist Wein. Saale-Unstrut. Bier gibt es auch, doch die wenigsten bestellen welches.

Es sei ihr immer klar gewesen, sagt sie, dass sie gehobene Küche anbieten müsse. „Wir liegen so abgelegen, dass uns die alten Navis der Autos gar nicht richtig finden“, erzählt sie und schmunzelt. Laufkundschaft gebe es nicht. Also müssen die Gäste gezielt das Lokal ansteuern. Das gehe eben nur über Qualität, betont sie.

Aber auch dem besten Restaurant des Landes plagen die Sorgen des gesamten Handwerks. Lehrlinge finde sie keine. Dabei wolle sie gern jemanden ausbilden. Mehr als 30 junge Leute haben im Parkrestaurant schon Koch oder Servicekraft gelernt. Doch kaum einer will auf dem Land bleiben. Oft wechseln sie auch den Beruf. „Vielleicht 20 Prozent“, sagt sie, „bleiben Köche.“ Der Rest orientiere sich um. Die Arbeitszeiten sehe sie als größtes Hindernis. „Dabei ist eigentlich um 22 Uhr Schluss, das geht immer noch.“ Dennoch ist für das sechsköpfige Team jeder Sonnabend und Sonntag Werktag. Bei den wenigen Fachkräften auf dem Markt werden die Gehaltsvorstellungen steigen. Den Mindestlohn habe sie sowieso schon in ähnlicher Höhe bezahlt, sagt sie. Vielleicht müsse sie die Preise bald anpassen. Denn Handarbeit kostet.

Dabei weiß sie, dass sie auf einem schmalen Grat wandert. Nach oben hin seien in Sachsen-Anhalt einfach Grenzen gesetzt. In westlichen Ballungszentren sei das anders. Mehr Punkte zu erreichen, hält sie deswegen für unrealistisch. „Dafür müsste ich noch andere Gerichte vorhalten, ständig frisch.“ Und das sei wiederum sehr kostenintensiv, wofür es nicht unbedingt die Kundschaft gibt. Deswegen bleibt sie ihrem Kurs treu: regionale Küche sehr gut zubereitet. Das schätzen ihre Kunden. Und das schon seit fast 30 Jahren.