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Du bist Spitze Mehr Neugier, weniger Angst

Christian und Dörte Nels helfen Menschen, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden. Sie engagieren sich für Flüchtlinge in Zerbst.

Von Sebastian Siebert 01.03.2016, 12:00

Bärenthoren l Als das Ehepaar Christian und Dörte Nels nach einem Kurzurlaub in England die Flüchtlinge sah, die aus München nach Berlin mit dem Sonderzug gefahren wurden, sei das nur eine Verstärkung dessen gewesen, was sie sowieso schon begonnen hatten. Schon im August hatten sich die beiden Eheleute aus Bärenthoren als eine der ersten bei der Stadt Zerbst gemeldet und ihre Hilfe angeboten.

„Wir wurden zu den Euroschulen geschickt“, erklärte Christian Nels. Dort bot das Paar seine Hilfe an. „Was das sein könnte, das wussten wir gar nicht so genau“, erzählte er weiter.

Es kamen die ersten Kontakte zu den Familien. „Die haben wir dann auch zu Hause besucht, sind immer wunderbar empfangen worden“, schilderte Christian Nels. „Wir haben mit Händen und Füßen versucht, uns gegenseitig zu verstehen“, sagte der 70-Jährige. Besonders zu einer Familie habe sich ein enges, freundschaftliches Verhältnis entwickelt. „Wir helfen ihnen bei der Wohnungssuche, wir helfen ihnen, zwischen Halberstadt, dem Bundesamt für Migration, und der Ausländerbehörde in Bitterfeld hin und her zu fahren“, erläuterte Nels.

Als sich der Runde Tisch zur Flüchtlingshilfe in Zerbst bildete, war Christian Nels mit dabei. „Ich sehe meine Aufgabe da bei der Koordination der Ehrenamtlichen“, sagte Nels. Dazu zähle, die „Zeitspenden“, wie es Nels nennt, den Aufgaben zuzuordnen und die Ehrenamtlichen miteinander zu vernetzen. „Wir machen alle tolle Erfahrungen mit den Flüchtlingen“, so Nels. Die können untereinander ausgetauscht werden. Aber auch bei emotionalen Problemen, wenn beispielsweise ein Betreuter abgeschoben wird oder die Ehrenamtlichen in ihrem Umfeld schräg angeguckt werden, weil sie sich für Flüchtlinge einsetzen, könne man helfen und beispielsweise argumentative Hilfestellung geben, so die Idee des Bärenthoreners.

Darüber hinaus hat der 70-Jährige für sechs minderjährige Flüchtlinge im Albert-Schweitzer-Familienwerk 100 Stunden Deutschunterricht gegeben. „Deutsch ist natürlich wichtig“, sagte der Mann, der mit seiner Frau selbst mehrere Jahre im Ausland verbracht hat und um die Bedeutung der Verständigung weiß. „Mit dem Deutschkurs kann man auch sehr viel transportieren“, fügte er an. „Ich konnte zum Beispiel Struktur in ihren Alltag bringen“, erzählte er. So mussten seine Schüler pünktlich beim Unterricht sein. „Das hat in Zusammenarbeit mit der Heimleitung super funktioniert. Wer nicht rechtzeitig aufgestanden ist, kam halt ohne Frühstück zu mir. Am Ende waren sie selbst die Pünktlichsten.“

Er habe auch einen sogenannten Refugees-Guide, eine Art Leitfaden für Kultur für Geflüchtete, im Unterricht dabei gehabt, erzählte seine Frau. Sie selbst habe ja auch im arabischen Raum gewohnt. „Dort ist es tagsüber so heiß, dass das Leben nachts stattfindet“, erzählte sie. „Hier liegen die Leute in den Betten. Das bietet natürlich Konfliktstoff. Und diese Konflikte braucht kein Mensch“, betonte sie. Und die müssen auch nicht sein, wenn man es erklärt.

Mittels eines Zeitstrahls hat Nels an der Tafel die Ausbildung erklärt. „Mit 6 Jahren kam ich in die Schule, mit 25 Jahren hab ich auf der Uni Examen gemacht und mit 26 Jahren das erste Geld verdient“, berichtete Nels. „Das sind 20 Jahre lernen, lernen, lernen. Du kommst nicht nach Deutschland und wirst nach drei Jahren Pilot“, habe der Bärenthorener seinen Schützlingen erklärt. So wie er das einschätze, seien die Schüler für diese Strukturen auch dankbar gewesen. Er sei kein Lehrer. Trotzdem denke er, dass er durch Neugier und Lebenserfahrung einiges vermitteln konnte.

„Mein weißes Haar hat mir dabei geholfen“, sagte er. Das gebe im arabischen und afrikanischen Raum einen Respektsvorsprung, den er sich nicht erarbeiten müsse. „Ich habe auch erklärt, dass ein Flüchtling dem deutschen Steuerzahler zwischen 800 und 1100 Euro kostet und erklärt, dass es nicht nur das Taschengeld ist, sondern auch die Wohnung, Essen und habe alles aufgezählt“, so Nels. Man könne ihnen diese Dinge auch sagen. „Ich halte das für wichtig. Ich mach‘ das nicht zum Vorwurf. Wir machen das gerne. Aber ihr müsst das wissen“, so Nels.

Er als Pensionär habe Zeit, sie als selbstständige Kosmetikerin könne sich die Zeit frei einteilen. „Da kann man doch was tun“, sagte Dörte Nels. Wer ein Leben rette, rettet die ganze Welt, so heiße es in einem jüdischen Sprichwort, erklärte sie über ihre Beweggründe, sich zu engagieren.

„Wir haben momentan die wahnsinnige Chance zu üben“, sagte Nels. Denn dass mehr Flüchtlinge kommen, hält er für sicher. „Es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Entweder mit Angst, die auch viele Politiker schüren. Da ist Seehofer das beste Beispiel“, sagte Christian Nels. Angst sei ein schlechter Berater. „Die zweite Möglichkeit sei Neugier“, fügte er an. „Das einzig Gewisse im Leben ist, dass wir alle sterben und dass es Veränderungen geben wird“, sagte seine Frau. Die Kunst sei, damit umzugehen.

Die beiden wünschen sich, dass nicht allen Gerüchten geglaubt werde, sondern diese zunächst mal hinterfragt werden. Dass sie sich weiter für die Flüchtlinge einsetzen, steht für die beiden fest. Denn, so sagen sie, sie haben bislang mehr zurückbekommen als gegeben.