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Bahn Jütrichau will Haltepunkt zurück

Seit Ende 2012 hält in Jütrichau kein Zug mehr. Doch die Anwohner lassen nicht locker. Sie wollen ihren Haltepunkt zurück.

Von Thomas Kirchner 01.04.2019, 01:01

Jütrichau l Die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) entschied 2012, dass zu wenig Menschen ein- und aussteigen, dass sich ein Bahn-Haltepunkt wirtschaftlich nicht lohnt. Ein Rufbusverkehr sollte eine adäquate und rentablere Alternative zur Bahn werden. Damals fand auch ein Gespräch mit Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) statt.

Einen Satz des Ministers, der nach zwei Stunden Diskussionsrunde vor versammelter Mannschaft fiel, macht die Jütrichauer noch heute sauer. Da könne man sehen, wie ernst die Menschen genommen werden. Webel: „Eines möchte ich Ihnen noch mit auf den Weg geben: Wenn Sie morgen auch denken, der Verkehrsminister ist ein Arschloch, das interessiert uns herzlich wenig.“

Nach nunmehr etwas mehr als sechs Jahren ist die Bilanz der Jütrichauer ernüchternd. „Die damals eingeführte direkte Buslinie von Jütrichau nach Dessau wurde nach vier Jahren eingestellt“, sagt Ortsbürgermeister Denis Barycza. Im Übrigen habe sie pro Jahr mehr Kosten verursacht als die Bahn. Geblieben seien nur die Schulbusse und der Anrufbus.

„Und den anzumelden ist eine Katastrophe. Da geht die Uhrzeit nicht, dann geht eine andere wieder nicht, und wenn man nach Lindau zu Tante Hildas Geburtstag möchte, muss man sich erst zum Zerbster Bahnhof fahren lassen und dann einen neuen Rufbus bestellen. Bis wir bei Tante Hilda sind, ist sie längst gestorben“, erklärt ein Jütrichauer mit einer Prise Sarkasmus.

„Meine Mutter ist damals in Jütrichau in den Zug ein- und in Roßlau ausgestiegen, wo sich gegenüber vom Bahnhof eine kleine Einkaufspassage mit Supermarkt und Ärzten befindet“, erinnert sich eine andere Bewohnerin. Sie habe vieles alleine erledigen können und sei mobil gewesen. „Dies ist heute alles vorbei“, sagt sie.

„Der Plan zum ÖPNV sieht eine gute Anbindung auch in der Fläche vor“, sagt NASA-Sprecher Wolfgang Ball. Vorgesehen sei der Einsatz der verschiedenen Verkehrsmittel wie Zug, Bus und Rufbus entsprechend ihren jeweiligen Stärken. „An geeigneten Schnittstellen sind die Verkehrsmittel gut miteinander verknüpft“, erklärt Ball. So könne regelmäßige Mobilität nachhaltig gesichert werden – auch und besonders in ländlichen Räumen mit geringer und sinkender Bevölkerungsdichte.

Hier widersprechen die Jütrichauer energisch. Täglich höre man „diese Phrasen“ von der Stärkung des ländlichen Raumes, ebenso wie den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), „doch am Ende ist genau das Gegenteil der Fall“, macht Barycza seinem Ärger Luft. Was fehle, sei eine vernünftige und regelmäßige Ringlinie durch die Ortschaften nach Zerbst – vor allem auch außerhalb der Schulzeit, „denn in den Ferien, am Wochenende und wochentags ab dem Nachmittag gibt es gar keinen ÖPNV in der Einheitsgemeinde, abgesehen vom Rufbus“, beklagt Barycza.

„Im Sinne eines wirtschaftlichen Einsatzes der Verkehrsträger ist der Zug als Massenverkehrsmittel dort vorgesehen, wo die größten Fahrgastpotenziale bestehen, also viele Fahrgäste gewonnen werden können“, erläutert der NASA-Sprecher. Im konkreten Fall werde durch die Ausweitung schneller Verbindungen zwischen den Zentren Dessau und Magdeburg ein deutlich größeres Fahrgastpotenzial erschlossen als durch die Bedienung der Station Jütrichau.

Auch dieses Argument lassen die Jütrichauer nicht gelten. „Was ist beispielsweise mit Lübs, Prödel oder Wahlitz? Hier halten sogar Regionalexpresszüge, die ja eigentlich noch schneller sein sollen, als die Regionalbahnen“, fragt Barycza.

„In Jütrichau gab es selbst zu Zeiten guter Bahnanbindungen nur äußerst wenig Nachfrage, sprich Bahnfahrgäste, deshalb ist hier der Rufbus die bessere Lösung“, so Ball. Der Rufbus biete regelmäßige Fahrtmöglichkeiten. Dagegen würden nur einzelne Zughalte den Pendlern nicht viel nützen.

„Und bei Halbierung der Haltezahl von Regionalzügen wäre das Verhältnis zu den erforderlichen Investitionen in Bahnsteige noch ungünstiger als in der Betrachtung damals – zum Zeitpunkt der Abbestellung des Verkehrshalts Jütrichau“, macht der NASA-Sprecher deutlich. Ball: „Die telefonische Voranmeldung eines Fahrtwunsches ist keine unzumutbare Unannehmlichkeit.“ Bei fortschreitender technischer Entwicklung lasse sich ergänzend zum Anruf Möglichkeiten für einfachere Bestellungen von Rufbussen über Apps einrichten.

Seit Jahren würden die Bevölkerungszahlen in seinem Ort steigen. „Viele haben sich damals für Jütrichau entschieden, eben auch wegen des Bahnanschlusses“, so der Ortsbürgermeister. Barycza: „Für uns ist der Kampf noch nicht zu Ende, genauso wie gehen den Lärm an der Strecke.“