Corona-Test Billigware Fleisch

Bisherige Corona-Tests fielen im Zerbster Fleischbetrieb alle negativ. Doch die Situation der Werkarbeiter steht nun in der Kritik.

Von Thomas Kirchner 04.07.2020, 01:01

Zerbst l Nach mehr als 1500 Corona-Infektionen beim Schlachtereibetrieb Tönnies im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück (Landkreis Gütersloh) gibt es in Zerbst zunächst weiter Entwarnung. Bei der zum Tönnies-Konzern gehörenden Anhalter Fleischwaren GmbH in der Käsperstraße ist bislang keine Infektion mit dem Coronavirus nachgewiesen. Im Gegensatz zu Rheda-Wiedenbrück wird in Zerbst nicht geschlachtet, hier wird das Fleisch verarbeitet.

„Bisher sind von rund 300 Mitarbeitern Abstriche genommen worden. Bei allen getesteten Beschäftigten sind die Ergebnisse negativ“, sagt Landkreissprecher Udo Pawelczyk. Die restlichen Mitarbeiter seien im Laufe der Woche getestet worden.

Auch der Produzent von Geflügelfleisch Wiesenhof lässt seine Mitarbeiter auf das Coronavirus testen. „In Reuden sind gut die Hälfte der Beschäftigten getestet. Auch hier sind bislang alle Abstriche negativ. Am Zerbster Standort werden ebenfalls noch Tests durchgeführt, wann genau, dass hängt nicht zuletzt auch von den Testkapazitäten ab“, so der Landkreissprecher.

Aktuell arbeiten in Zerbst laut Tönnies-Unternehmenssprecher rund 450 Mitarbeiter. Davon seien rund 180 Werkvertragsarbeiter, deren Verträge nun wieder in der Kritik stehen. Niedrige Löhne, unbezahlte Überstunden und die Unterbringung in Massenunterkünften sind deutschlandweit die Vorwürfe gegen diese Art der Beschäftigung.

„Bitte haben Sie Verständnis, dass wir derzeit aufgrund der gegebenen Umstände Ihre Fragen erst zu einem späteren Zeitpunkt beantworten können“, schreibt Ralf Kerkhoff, Geschäftsführer der Besselmann Services GmbH & Co. KG, die Werkverträge mit Arbeitern abschließt und diese auch an Tönnies vermittelt.

Aufgrund der behördlich angeordneten Quarantäne für die Mitarbeiter, die bei der Firma Tönnies arbeiten, liege derzeit das Hauptaugenmerk bei der Versorgung der Menschen und ihrer Familien in allen Bereichen des täglichen Bedarfes. „Ferner versichern wir, dass alle unsere Mitarbeiter weiterhin ihren Lohn bekommen, selbstverständlich auch das Quarantänegeld beziehungsweise die Lohnfortzahlung“, betont Kerkhoff.

Beim Dessauer Arbeitsgericht sind Klagen gegen die Besselmann GmbH allerdings keine Seltenheit. „Im vergangenen Jahr waren acht Zahlungsklagen und eine Klage wegen Kündigung, Abmahnung oder wegen eines Zeugnisses anhängig. In diesem Jahr sind es bereits sieben Zahlungsklagen, eine Klage wegen Zahlung oder Sonstiges (Lohnsteuerbescheinigungen), eine Klage wegen Kündigung und eine Klage wegen Sonstigem (Abmahnung) anhängig“, so Reinhard Engshuber, Pressesprecher beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt auf Volksstimme-Nachfrage.

Tönnies selbst reagiert eher zurückhaltend auf die Fragen zu Arbeitern, die mit Werkverträgen an Firmen-Standorten beschäftigt sind. „Die Werkvertragsarbeitnehmer in Zerbst sind nicht in Massenunterkünften untergebracht, wie man sie in Teilen im Fernsehen sieht, sondern wohnen in Kleingruppen von vier bis maximal fünf Arbeitern oder in selbst angemieteten Wohnungen im Umfeld der Produktionsstätte“, erklärt Tönnies-Sprecher Markus Eicher. Sie kämen vor allem aus Rumänien, Bulgarien, Polen und Litauen.

Thomas Gawron von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Magdeburg kennt die Problematik. Viele Firmen arbeiten mit Werkvertragsarbeitern. „Für uns ist es schwierig, hier Einfluss zu nehmen. Der Betriebsrat bei den Anhalter Fleischwaren in Zerbst fühlt sich nach eigenen Angaben für die Werk- und Leiharbeiter nicht zuständig“, sagt der Gewerkschafter. So sei eine Zusammenarbeit und eine daraus folgende Verbesserung der Lage für die betroffenen Mitarbeiter mit Werkverträgen nahezu unmöglich, so Gawron.

Auch Anne Hafenstein sind die Probleme nicht unbekannt. Sie ist in der Projektleitung „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“ beim Verein „Arbeit und Leben Bildungsvereinigung Sachsen-Anhalt“ und hat täglich mit Betroffenen zu tun. „Aus unseren Beratungsgesprächen in Zerbst wissen wir, dass es unterschiedliche Unterbringungsmodelle gibt. In der Regel werden Personen, die neu ankommen, in Mehrpersonenunterkünften untergebracht“, so Hafenstein. Es könne sich dabei um Einrichtungen, die als Wohnheime zu bezeichnen wären, handeln oder Wohnungen in Mietshäusern.

„Problematisch ist aus Sicht der Beratungsstelle, dass beispielsweise die Vermieter häufig im Kontakt mit den Subunternehmen stehen und eine Form von geschäftlicher Beziehung miteinander haben“, erklärt die Beraterin. Es sei fraglich ob die Beschaffenheit beziehungsweise die Ausstattung der Unterkünfte sowie die erhobenen Mietpreise sich dabei an den gesetzlichen Standards orientieren.

„Eigentlich sollte die Meldeadresse stets aktuell gehalten werden, allerdings haben wir erfahren, dass die Arbeitnehmenden häufiger auch mal plötzlich andere Wohnungen zugewiesen bekommen. Eine verlässliche Erreichbarkeit ist der Arbeitnehmenden ist damit nicht gewährleistet. Je länger die Personen an einem Standort beschäftigt sind, desto eher suchen sich diese dann auch eigene Wohnungen“, erklärt Anne Hafenstein.

Die Werkvertragsarbeiter, die für die Anhalter Fleischwaren tätig sind und die bei uns Rat gesucht haben oder suchen, sind alle bei der Firma Besselmann angestellt. „Fragen, die die Ratsuchenden an uns richten, drehen sich häufig um die Auflistung der Arbeitszeit, Vergütungsansprüche, die Gewährung von Urlaub oder auch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“, weiß sie aus ihrer Beratungstätigkeit.

Im Mai sei seitens der Landesregierung und des Corona-Pandemie-Stabs die freiwillige Testung in der fleischverarbeitenden Industrie angeregt worden. „Als landesfinanziertes Projekt haben wir damals unsere Unterstützung durch sprachliche Begleitung für geplanten Testungen dem Landkreis gegenüber angeboten. Eine Rückmeldung dazu gab es leider nicht“, bedauert Anne Hafenstein.

Ähnliches berichtet Mario Gabler vom Jugendmigrationsdienst der Zerbster Diakonie. Bis zu 20 Ratsuchende melden sich im Monat allein zum Thema Arbeitsrecht in der Beratungsstelle. „Die allermeisten sind mit Werk- oder Leiharbeitsverträgen beschäftigt“, sagt Gabler. Zumeist gehe es um Lohn, Überstunden, Arbeitsbedingungen, Unterbringung und die Arbeistverträge.

„Es gibt Fälle, wo die Zeitarbeitsfirmen von Zerbster Vermietern auch gleich Wohnungen anmieten und die dann an die Werkvertragsarbeiter weitervermieten, oft sogar überbelegt. Da machen die Leiharbeitsfirmen dann auch noch Gewinn“, so Gabler. Ein weiteres Problem sei, dass die Arbeiter zu Hause oder in ihrer Unterkunft warten müssen, bis man Arbeit für sie hat. „Es kommt vor, dass Leiharbeiter zwei Tage arbeiten müssen, man den Rest der Woche aber keine Arbeit für sie hat“, berichtet er.

Gabler: „Wenn wir dann die Leiharbeitsfirmen angeschrieben haben und um einen verbindlichen Dienstplan gebeten haben, wurden die Arbeiter nicht selten sofort gekündigt. Eine Vorgehensweise der Leiharbeitsfirmen, die, gelinde gesagt, äußerst fragwürdig ist.“

Auch Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) hat das Thema „Fleischindustrie“ auf dem Schirm. „Da ich im Juli ohnehin ein Gespräch mit Clemens Tönnies zu verschieden standortbezogenen Themen vereinbart habe, wird, soweit der Termin gehalten werden kann, die Tagesordnung zwangsläufig auch um die aktuellen Themen rund um die Fleischverarbeitung und deren Zukunft erweitert werden“, kündigte Dittmann vergangene Woche im Zerbster Stadtrat an.