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Coronavirus Gemeinsam durch die Krise

Wie meistern Erzieher und Kinder des Zerbster Geschwister-Scholl-Heims die Herausforderungen durch Corona? Ein Blick hinter die Kulissen.

Von Julia Puder 30.04.2020, 01:01

Zerbst l Ein Fachwerkhaus, sechs Mädchen, fünf Pädagoginnen, ein gemeinsames Ziel: irgendwie durch die Corona-Krise kommen. Das Erzieherteam der heilpädagogischen Mädchenwohngruppe des Geschwister-Scholl-Heims in Zerbst steht wie viele andere Pädagogen zurzeit vor besonderen Herausforderungen. „Wir sind gerade alles: Freund, Erzieher, Familie, Coach“, erzählt Anika Benke von ihrem neuen Arbeitsalltag dank Corona.

Die Teamleiterin arbeitet seit fünf Jahren in der Wohngruppe und betreut gemeinsam mit ihren vier Kolleginnen und einer Hauswirtschaftskraft sechs Mädchen im Alter von 10 bis 17 Jahren. Ein 24-Stunden-Job mit und ohne Corona-Pandemie. „Bereits vor Corona haben wir unseren Alltag mit den Mödchen geteilt. Das hat sich nicht verändert. Nur der Alltag ist nun ein anderer“, erzählt Anika Benke.

Von Hausaufgaben machen, über Sportaktivitäten, bis zur gemeinsamen Zubereitung der Mahlzeiten – der Tag hat trotz Ausgangsbeschränkungen eine klare Struktur. „Wir versuchen es, so angenehm wie möglich zu gestalten“, so Benke. Konflikte können dennoch nicht vermieden werden.

„Wir haben gemerkt, dass vor allem zu Beginn der Corona-Maßnahmen viel Unmut bei den Kindern und Jugendlichen unserer Einrichtungen aufkam“, sagt Rainer Schnelle, Einrichtungsleiter des Geschwister-Scholl-Heims. Alle Beteiligten mussten sich zuerst an die neue Situation gewöhnen, so Schnelle.

Normalerweise gehen die Mädchen vormittags zur Schule und nehmen am Nachmittag an einer Arbeitsgemeinschaft teil oder treffen ihre Freunde. Nun sind sie den ganzen Tag im Heim und können weder ihre Freunde noch ihre Eltern sehen. „In der Regel haben unsere Mädchen zweimal im Monat die Möglichkeit, ihre Familie zu besuchen. Das ist aber nun nicht mehr möglich“, erzählt Anika Benke.

Die Frustration der Jugendlichen steige dadurch noch mehr. Dann liegt es an den Erzieherinnen, für Abwechslung zu sorgen. „Wir machen gemeinsam Sport, basteln oder machen ein Fotoshooting an der Elbe“, sagt Anika Benke. Alle Mahlzeiten würde man nun gemeinsam einnehmen, das stärke den Zusammenhalt. Dabei werden aktuelle Themen und Probleme diskutiert.

Die größte Herausforderung, sowohl für die Pädagogen als auch die Jugendliche, stellen die schulischen Verpflichtungen dar. Am großen Küchentisch, dem zentralen Anlaufpunkt im Haus, werden dann gemeinsam mindestens drei Stunden lang die Hausaufgaben erledigt. Für die Erzieherinnen eine Zerreißprobe. „Wir sind keine Lehrer und kommen bei manchen Aufgaben auch an unsere Grenzen“, erzählt Anika Benke.

Außerdem seien die technischen Möglichkeiten begrenzt. Nur ein Laptop steht der gesamten Wohngruppe zur Verfügung, um den Aufgabenpool der Schule nutzen zu können. Mit ihren Mitschülern und Eltern können die Mädchen dann per Smartphone und dank WLAN in Kontakt bleiben. Dennoch wünschen sich die Mädchen die Schule zurück. „In der Schule wird es einfach besser erklärt“, sagt Samantha. Die 16-Jährige fühle sich ein wenig eingesperrt und vermisse ihre Freunde und Familie. „Unsere Erzieher sind aber sehr kreativ und unternehmen viel mit uns“, sagt Samantha.

Die Eltern der Kinder zeigen sich größtenteils verständnisvoll, erzählt Rainer Schnelle. „Am Anfang waren natürlich viele Fragen da, aber die Zusammenarbeit klappt. Wir können auch keine Ausnahmen machen“, so Schnelle. Die Kinder des Heims haben weiterhin die Möglichkeiten mit ihren Eltern per Telefon in Kontakt zu treten.

Auch in den anderen Einrichtungen des Heims sorgt das Thema „Corona“ für Frust und zusätzliche Herausforderungen. Nur die Kleinsten scheinen von der ganzen Situation unbeeindruckt, erzählt Rainer Schnelle. „In der Kindergruppe von null bis sechs Jahren kriegen es die wenigsten mit, denn sie haben immer noch regelmäßig Bewegung im Freien“, so Schnelle.

Die älteren Jugendlichen zeigen da schon mehr Frust und Unverständnis. Dennoch habe Rainer Schnelle das Gefühl, dass alle durch die Ausnahmesituation näher zusammengerückt sind. „Der Stressfaktor Alltag fällt weg und die Kinder müssen sich zwangsläufig miteinander beschäftigen“, erzählt Schnelle.

Dafür sei man auch bei den Hausregeln ein wenig flexibler geworden. „Wir können nicht alle Pflichten aussetzen, aber wir können Ausnahmen machen“, sagt Teamleiterin Anika Benke. Wenn alles überstanden ist, stelle sie für die Mädchen auch eine große Belohnung in Aussicht. Zusätzliche Tage mit der Familie und Freunden könnten die Jugendlichen dann sicherlich gut gebrauchen.