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Flüchtlinge Pauken für das Abitur

Seit einigen Monaten leben Azahr Hammoud und Hussein Alabbar in Zerbst. Hussein will das Abitur machen, Azahr nach Leipzig gehen.

Von Katrin Wurm 02.08.2016, 04:00

Zerbst l Hussein ist glücklich. Wenn alles gut geht, ist er bald Schüler am Gymnasium Francisceum. Doch noch steht ein wichtiger Test aus. Der 18-Jährige muss pauken: Bio, Chemie und Physik. „Diesen Test muss er noch schaffen, dann kann es am Francisceum für ihn losgehen“, erklärt die Flüchtlingskoordinatorin der Diakonie, Karin Zander, die Auflagen des Landesverwaltungsamtes. Mit dem Test soll geprüft werden, ob Husseins Kenntnisse in Naturwissenschaften fürs Gymnasium ausreichen.

Für Hussein wird mit dem Besuch des Gymnasiums ein Traum wahr. „Ich komme meinem Ziel damit ein Stück weiter“, erklärt er. Sein Deutsch ist schon sehr gut. Und das, obwohl er erst seit sechs Monaten in Zerbst lebt und davor zwei Monate in Halberstadt war. „Ich möchte gern Journalismus studieren“, berichtet er von seinem Berufswunsch. Der Kontakt mit anderen Menschen, die Vielfalt an Themen, die Kreativität – all das reize ihn an dem Beruf.

Die Flucht von einem Vorort von Damaskus nach Deutschland hat Hussein allein mit seinem Bruder angetreten. „Einen Monat waren wir unterwegs. Wir haben viele schlechte Leute getroffen. Es war eine schlimme Zeit“, erzählt er leise von den anstrengenden Tagen der Flucht. „Damaskus ist zu 90 Prozent zerstört“, sagt er. Noch wohnt der Großteil seiner Familie dort. Mutter, Vater, Schwester. Der Kontakt zur geliebten Familie ist da, wenn auch schwierig. Der Kurznachrichtendienst WhatsApp ist seine einzige Verbindung zur Familie.

Die Flucht führte ihn und seinen Bruder von Syrien aus in den Libanon und von dort aus weiter in die Türkei. „Von der Türkei aus haben wir dreimal versucht mit dem Boot nach Griechenland zu kommen. Einmal war das Wetter schlecht, dann hielt uns die Wasserschutzpolizei auf“, sagt er. Die dritte Überfahrt gelang dann in dem viel zu überladenen Schlauchboot. „Es waren auch viele Frauen und Kinder dabei“, erinnert er sich an die gefährliche Überfahrt.

Von Samos ging es für die Brüder weiter nach Athen und dann über die jetzt geschlossene Balkanroute. „Von Ungarn sind wir mit einem Kleinbus nach Passau gefahren. In dem Bus saßen fast 30 Personen. Allein für die Fahrt wollten die Schlepper 500 Euro haben“, berichtet er von den hohen Kosten, für die die Familie in Syrien alles zusammengekratzt hat. Angekommen in Deutschland wurden die Brüder der Erstaufnahmestelle in Halberstadt zugewiesen. „Mein Bruder ging von dort aus nach Bochum. Mich schickte man nach Zerbst“, sagt Hussein.

Auf die Schule in Zerbst und den Kontakt mit seinen zukünftigen Mitschülern und Lehrern freut er sich schon sehr. „Ich will es unbedingt schaffen und ich hoffe, es klappt“, sagt Hussein.

Für die anderen Flüchtlinge in Zerbst ist Hussein eine große Hilfe. Dank seiner guten Deutschkenntnisse hilft er ihnen und begleitet sie oft, gemeinsam mit der Flüchtlingsbeauftragten Karin Zander, zu Terminen in Ämtern, bei Ärzten oder beim Jobcenter. „Ich würde gern auch einen kleinen Sprachkurs anbieten“, kann sich der ehrgeizige 18-Jährige vorstellen.

Auch die 28-jährige Azhar Hammoud aus Syrien spricht sehr gut Deutsch. „Ich habe in Syrien Germanistik studiert und als Deutschlehrerin gearbeitet“, sagt sie. Zudem hat die gut ausgebildete junge Frau in Syrien noch eine Ausbildung zur Radiologieassistentin absolviert. Die vergangenen Monate lebte sie mit ihrer Schwester in der Nuthestadt. Nun zieht es beide weiter nach Leipzig. „Meine Schwester will dort studieren. Ich hoffe darauf, in Leipzig bald eine Arbeit zu finden. Auch Azhar ist – wie Hussein – ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen. Auch sie kommt aus der Nähe von Damaskus. „Ich war zwölf Tage mit meiner Schwester auf der Flucht. Es war sehr schwer für uns. Wir hatten teilweise Todesangst. Zum Beispiel saßen wir mit 60 Menschen in einem viel zu kleinen Boot. Da waren auch 25 Kinder dabei“, berichtet sie von der schwierigen Flucht.

Sich an das Leben in Deutschland zu gewöhnen, sei nicht so leicht, gibt Azhar zu. „Es ist hier alles anders. Aber wir versuchen es und geben unser Bestes“, sagt die 28-Jährige. Viel Kontakt mit den Zerbstern hatte sie in ihrer Zeit in der Nuthestadt nicht, was sie bedauert. „Wir haben hier nicht miteinander gelebt, sondern nebeneinander“, ist ihr Eindruck. In Leipzig erhofft sie sich nun Arbeit und noch mehr Teilhabe am öffentlichen Leben. Und ihre Zukunft? „Meine Schwester und ich wollen gern irgendwann zurück nach Syrien. Zurück zu unseren Eltern, zurück in unsere Heimat. Wenn der Krieg in Syrien vorbei ist und die bösen Menschen weg sind, dann wollen wir beim Wiederaufbau helfen“, sagt Azhar hoffnungsvoll.