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Forschungen Anhalter Karrieren im Riesenreich

Mehr als 500 Anhalter haben ihre Heimat verlassen und gingen zum Arbeiten, Lehren oder Forschen nach Russland.

Von Thomas Kirchner 19.12.2017, 00:01

Zerbst l Die Regionalgruppe Zerbst-Anhalt des Vereins für Anhaltische Landeskunde (VAL) und Annegret Mainzer, Mitglied des Internationalen Fördervereins Katharina II. Zerbst, des Fördervereins Schloss Zerbst und Redaktionsmitglied des Zerbster Heimatkalenders, hatten kürzlich ins Museum der Stadt Zerbst eingeladen, um Personen kennenzulernen, die aus der Region Anhalt stammen und im Russischen Reich Karriere machten.

Mainzer präsentierte den Besuchern die Resultate ihrer fast 25-jährigen Nachforschungen zum Thema „Anhaltische Karrieren im Russischen Reich bis 1918“. Eine der von ihr inzwischen erfassten 1300 Personen aus dem heutigen Mitteldeutschland, davon mehr als 500 aus Anhalt. Ein Beispiel: Der Zerbster Ferdinand Adolph Gelbcke.

„Wussten Sie, dass Ferdinand Adolph Gelbcke aus Zerbst, Übersetzer von Shakespeares Sonetten und enger Mitarbeiter des aus Anhalt stammenden und in St. Petersburg wirkenden Musikers und Komponisten Leopold Fuchs war?“, nannte sie ein Karriere-Beispiel.

Gelbcke habe bis zum Jahr 1828 am Zerbster Francisceum gelernt. So findet sich sein Name im Verzeichnis der Schüler des Francisceums 1803 bis 1903, das in der Bibliothek des Gymnasium aufbewahrt wird. „Von 1831 bis 1834 studierte Gelbcke Musik bei dem Organisten und Komponisten Friedrich Schneider in Dessau, der seit 1821 den Posten des Herzoglich-Anhaltischen Hofkapellmeisters bekleidete“, erläutert Mainzer.

Später sei Gelbcke nach St. Petersburg gegangen. In den Jahren 1857 bis 1872 lehrte Gelbcke die deutsche Sprache, Literaturgeschichte und Gesang an der Petersburger deutschen St. Annenschule, die 1736 als Elementarschule gegründet wurde.

Von 1849 bis 1882 war er Direktor des dem Petersburger deutschen Wohltätigkeitsvereins angegliederten Belosjelskij’schen Frauenasyls. Ferdinand Adolph Gelbcke sei nicht nur ein viel beschäftigter Pädagoge gewesen, „er griff auch oft und gern zur Feder“, erklärte Mainzer. Zu seinen wichtigsten Werken zählen unter anderem die deutschen Übersetzungen zahlreicher Sonette von William Shakespeare, die 1867 veröffentlicht wurden.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, der Roßlauer Ingenieur und Hochschullehrer Johann Siegismund Gottfried Huth an den Universitäten Dorpat (heute Tartu in Estland) und Charkow, Johann Friedrich Erdmann, der Gelehrte aus Wittenberg an den Universitäten Kasan und Dorpat oder der Köthener Pastor Dilthey in Petersburg.

In ihren Ausführungen berichtete Mainzer über die von ihr genutzten Quellen. Große Hilfe waren bei den Recherchen die Bürgerbücher von Dorpat, Pernau, Fellin und Riga, Matrikel- und Schülerverzeichnisse der deutschen Schulen und Universitäten im Baltikum, St. Petersburg, Moskau sowie die Erstansiedlerlisten der deutschen Kolonien an der Wolga.

Um etwas über die persönlichen Lebensumstände der Personen zu erfahren, recherchierte sie vorwiegend in den deutschsprachigen Tageszeitungen wie die „Dörptsche Zeitung“ und „Rigasche Zeitung“, die im 19. Jahrhundert herausgegeben wurden.

In Wort und Bild gab Annegret Mainzer - trotz teilweise quellenarmer Lage - einen durchaus geschlossenen Überblick über den Wissens- und Technologietransfer zwischen Anhalt und dem Riesenreich, dessen Auswirkungen bis in unsere Zeit reichen. „Dieser schlägt sich sicher unter anderem in einer seit 1994 bestehenden und sehr lebendigen Städtepartnerschaft zwischen Zerbst und Puschkin/St.Petersburg nieder“, ist sich Mainzer sicher.

Es gebe aber auch gute Beziehungen zu anderen Partnern im heutigen Russland. Bereits im April stellte Mainzer die „Anhaltischen Karrieren im Russischen Reich“ auf einer landesgeschichtlichen Tagung der Historischen Kommission Sachsen-Anhalt in Halle vor.

In Teilen wurden die Ergebnisse ihrer Recherchen auch im jährlich erscheinenden Zerbster Heimatkalender publiziert. So gab sie auch einen Ausblick für den Zerbster Heimatkalender 2019.

Gemeinsam mit dem Schlossvereinsvorsitzenden Dirk Herrmann und dem bekannten lettischen Kunsthistoriker Imants Lancmanis, Direktor des Schlosses Rundale bei Riga, bereitet Annegret Mainzer einen Beitrag vor, in dem es um den Maler Friedrich Hartmann Paradyen - genannt Barisien - geht, dessen künstlerisches Schaffen sich im Zerbster Schloss, in unserer russischen Partnerstadt Puschkin sowie in Schloss Rundale bei Riga widerspiegelt.