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Gebietsreform Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede

Die Gebietsreform 2010 erschuf eine Kommune. Doch Zerbst erscheint noch oft geteilt. Ein Streitgespräch.

Von Daniela Apel 26.01.2020, 21:18

Zerbst l Zehn Jahre ist die Gebietsreform inzwischen her, aus der die Einheitsgemeinde Zerbst hervorging. Bis heute scheint es eine imaginäre Trennlinie zwischen der Kernstadt und den Umlandorten zu geben. Immer wieder knackst und knirscht es an einzelnen Punkten, werden Kritik, Vorwürfe und Unzufriedenheit laut, prallen zwei gegensätzliche Seiten aufeinander. Von einer Einheit also keine Spur?

Um über diese Annahme zu diskutieren, lud die Volksstimme den Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) und als Umlandvertreter den Lindauer Ortsbürgermeister Helmut Seidler (FFZ) zum Gespräch ein. Sachlich und ruhig gehen die Beiden auf die gestellten Fragen ein, wobei die Ansichten weniger stark auseinanderdriften als vermutet. Vielmehr scheint letztlich der zielgerichtete Blick, die Einheitsgemeinde voranzubringen, der gemeinsame Nenner zu sein. Dabei bilden finanzielle und personelle Ressourcen allerdings ein enges Korsett, in das alle Entscheidungen eingezwängt sind.

Das betrifft zum einen die Leistungen des Bauhofes. Immer wieder mal wird die Pflege der Grünflächen in den Ortschaften bemängelt. Sowohl Seidler als auch Dittmann ist bewusst, dass einfach nicht ausreichend Kräfte vorhanden sind, um sämtliche Rabatten ordentlich zu pflegen. Eine Aufstockung der festen Mitarbeiter „geht klar zu Lasten anderer Aufgaben“, verdeutlicht Dittmann. Schließlich können die vorhandenen Gelder nur einmal ausgegeben werden. Und eine Personalstelle inklusive sämtlicher Nebenkosten würde im Schnitt mit 50.000 Euro zu Buche schlagen, gibt er zu bedenken.

Ebenso schwierig sei es derzeit, an Ein-Euro-Jobber zu kommen, mit denen sich die Engpässe im Bauhof gut beherrschen ließen, wie es Seidler formuliert. Diese Zusatzkräfte würden dringend wieder benötigt. „Da hängen wir am Tropf der kommunalen Beschäftigungsagentur“, sagt Dittmann. Obwohl sich die Stadt 2019 sogar selbst als Träger von Arbeitsförderungsmaßnahmen registrieren ließ, habe dies nicht die erhoffte Wirkung entfaltet, weil weniger Maßnahmen bewilligt werden. Werde doch eine genehmigt, dann nicht im beantragten Umfang.

Als positiv und fortführenswert betrachtet Seidler die Entscheidung, in effizientere Technik zu investieren. Im aktuellen Diskurs, Blüh- und Bienenwiesen anzulegen – auch die Stadt denkt darüber nach – nütze die angeschaffte Mähtechnik allerdings nichts, sagt Dittmann. Nur noch einige Grünflächen kurz zu halten und andere nicht, könne jedoch ein Teil der Lösung sein, ergänzt er.

„So, wie die Situation jetzt ist, lässt sich die Leistungsfähigkeit des Bauhofes nicht verbessern“, spricht Seidler von einem „ziemlich komplexen Thema“, über das „wir uns im Stadtrat mal unterhalten müssen“. Voraussetzung für eine umfassende Betrachtung sei das bislang noch nicht fertig gestellte Grünflächenkataster, um überhaupt eine Übersicht über alle zu pflegenden Flächen zu haben. Und dann müsste womöglich darüber nachgedacht werden, wo künftig Abstriche zu machen sind. Denn Fakt sei ebenfalls, dass die Bereitschaft der Bürger sinke, freiwillig die Pflege der Rabatte vor der eigenen Haustür zu übernehmen.

Unterdessen weist Dittmann darauf hin, dass sich auch die Erwartungen der Ortschaften verändert haben. Zu VG-Zeiten nutzte längst nicht jedes Dorf den extra zu bezahlenden Bauhof. Heute ist die Nachfrage viel höher, wie er darlegt. Außerdem sei eine ganze Reihe von Aufgaben hinzugekommen. „Spielplatzüberprüfungen und Baumkontrollen fanden in der Vewaltungsgemeinschaft faktisch nicht statt – zumindest gibt es kein Protokoll darüber“, sagt er.

Dennoch besaßen die Ortschaften damals einen gewaltigen Vorteil: Sie waren selbständig, was ihnen einen eigenen Haushalt bescherte, über den sie eigenverantwortlich befinden konnten. „Das lässt einem ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten“, weiß Seidler. Das ist letztlich der Grund gewesen, weshalb sich die Vorfläming-Gemeinden, zu der auch Lindau gehörte, bereits 2004 im Zuge der damaligen Verwaltungsreform um eine Eingemeindung nach Zerbst bemühten. „Wir wollten das mit aller Gewalt, das war nicht nur so ein Lippenbekenntnis“, blickt Seidler zurück. Mit diesem Zusammenschluss zu einer Verbandsgemeinde hätten die Vorflämingorte das Recht, allein über ihre finanziellen Mittel zu entscheiden, behalten.

Nun gibt es einzig einen gemeinsamen Haushalt, in dem sich neben der Kernstadt die insgesamt 24 Ortschaften des Umlandes (Bias, Luso und Pulspforde wurden schon früher eingemeindet) wiederfinden. „Jetzt ist es so, dass wir schon aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat Dinge nicht so einfach umgesetzt bekommen“, findet Seidler. Dem widerspricht Dittmann. Vielmehr spielen bei Investitionen andere Aspekte eine Rolle wie beispielsweise die Frage, ob für die jeweilige Maßnahme Fördermittel akquiriert werden können, um die Eigenbelastung zu minimieren. „Mir ist zudem wichtig – und da gibt es viele im Stadtrat, die das genauso sehen –, dass wir handlungsfähig bleiben und nicht am Gängelband der Kommunalaufsicht laufen, aber das geht zu Lasten der Infrastruktur“, sagt er.

Seidler kritisiert allerdings ebenfalls die personelle Situation in der Stadtverwaltung, spricht von „zu wenig Manpower“, die den Handlungsspielraum einengt. Wie er darlegt, fehlt es seiner Meinung nach schlichtweg an ausreichend Mitarbeitern, um angedachte Projekte entsprechend vorzubereiten, um Fakten zu recherchieren, notwendige Untersuchungen durchzuführen und nach passenden Fördertöpfen Ausschau zu halten. Verschärft werde das Ganze, wenn das Augenmerk nur auf einzelne Großprojekte wie derzeit die Sanierung des früheren Frauenklosters ins Zerbst gerichtet wird. „Dann fallen Dinge runter und es gibt noch einige Objekte, wo Lösungen fehlen“, sagt er und nennt das verfallene Kulturhaus in Lindau als ein Beispiel.

Dem hält Dittmann gegenüber, dass auch in Zeiten der Selbstständigkeit, unterschiedliche Prioritätensetzungen erfolgten. „Offensichtlich gab es im Gemeinschaftsausschuss keine Mehrheit, den Schul-standort in Steutz in eine Situation zu bringen, dass nicht nur die Kinder nicht fehlen, sondern auch das Gebäude sicher ist“, spielt er auf die inzwischen behobenen Brandschutzmängel an. „Das hängt damit zusammen, wie bin ich ausfinanziert“, formuliert es der Rathauschef. „Wir kommen immer wieder an diese Befindlichkeiten“, bemerkt Seidler.

Ihn stört, dass nach wie vor die vom Gesetzgeber verlangte Eröffnungsbilanz nicht vorliegt. Für diese ist das kommunale Vermögen komplett zu erfassen, das bedeutet, dass das gesamte Eigentum wie Straßen und Immobilien darzustellen und zu bewerten ist. „Das ist schon wichtig“, betont er.

Darüber hinaus würde sich Seidler wünschen, dass es im Vorfeld von Entscheidungen ein „größeres Diskussionsangebot“ gibt. „Wir werden mitunter immer wieder überrascht“, wendet er sich direkt an Dittmann, der meist über einen Informationsvorlauf verfüge, mit dem sich natürlich gut argumentieren lasse. „Nimm uns mal in deine Gedankenwelt mit“, fordert er ihn lächelnd auf. Denn dies ist nach seinem Empfinden bislang „nicht so ausgeprägt“.

Ganz offen wandte sich Dittmann kürzlich in seiner Neujahrsansprache an all jene, die nur die Missstände innerhalb der Einheitsgemeinde sehen. Statt sich nur zu beklagen, rief er auch die Ortschaften dazu auf, sich aktiv und konstruktiv in der neu entstandenen Struktur einzubringen. „Es gibt kaum eine Ortschaft, die mehr mitdenkt, als wir es tun“, antwortet Seidler im Gespräch spontan für die Lindauer. „Da ist der Kreativität keine Grenze gesetzt“, geht Dittmann näher auf die Aussage seiner Ansprache ein. Er ist gespannt, welche Ideen von anderen eingebracht werden. Für ihn selbst bildet die für 2022 geplante Fortsetzung des Zerbster Prozessionsspiels erneut eine Gelegenheit, die Menschen aus Stadt und Umland zusammenzubringen. Aber auch die Walternienburger Initiative, einen „Zerbster Sonnabend“ zu gestalten, nennt er als Beispiel.

Bleibt zu guter Letzt die Frage, ob die Einheitsgemeinde Zerbst tatsächlich irgendwann zu einer Einheit zusammenwächst? Schon allein aufgrund der Unterschiede zwischen Stadt und Land werde es immer verschiedene Befindlichkeiten geben, glaubt Seidler. „Es wird nie zu erreichen sein, dass wir den gleichen Herzschlag haben“, denkt er und bezweifelt, dass sich das Gemeinschaftsgefühl in Zukunft verstärkt.

„Man muss das mit dem notwendigen Maß an Gelassenheit sehen“, sagt Dittmann. Es brauche Zeit, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, erzwingen könne man es sowieso nicht. „Ich würde mich freuen, wenn man in Reuden irgendwann sagt: ,Ich bin Zerbster.‘ Aber wenn nicht, ist auch nicht schlimm. Denn in erster Linie ist ein Reudener erstmal ein Reudener“, konstatiert er.

„Ein bisschen Individualität kann doch nicht verkehrt sein“, wirft Seidler ein. „Lokalkolorit brauchen wir“, stimmt Dittmann zu.