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Gerichtsverfahren Verkaufte Zerbster geklaute Räder?

Bei einer weiteren Sitzung hat ein Zeuge den Angeklagten aus Zerbst schwer belastet. Der Verteidiger hält die Zeugenaussage für erfunden.

Von Andreas Behling 12.06.2020, 23:01

Dessau/Zerbst l Wird es jetzt eng für den 55-Jährigen, der sich vor der 4. Strafkammer des Landgerichts Dessau wegen gewerbsmäßiger Hehlerei verantworten muss? Ein junger Mann hat vor der Berufungsinstanz, die unter dem Vorsitz von Thomas Knief steht, mit seiner Aussage den Zerbster schwer belastet.

Um seinen damaligen Drogenkonsum zu finanzieren, so der 21-Jährige, habe er mit zwei anderen Kumpels, deren Namen er nach einigem Zögern nannte, durchaus regelmäßig Vorderräder mit Nabendynamos gestohlen und die in die Dessauer Werkstatt des Angeklagten geschafft. Später seien auch komplette Fahrräder hinzugekommen.

Die Staatsanwaltschaft geht in dem Verfahren davon aus, dass der Zerbster insgesamt 80 aus Diebstählen stammende Vorderräder sowie zwölf komplette Drahtesel im Wissen um deren Herkunft ankaufte, um sie zwischen Mai und August 2015 in seinem Fahrradgeschäft an die Kunden zu bringen. Der Angeklagte blieb während das Auftritts des Zeugen, der von der Polizei aus dem brandenburgischen Kyritz nach Dessau gebracht wurde, stumm.

Dafür ergriff sein Verteidiger Oliver John umso energischer das Wort. Streng wollte er von dem Zeugen wissen, weshalb er sich so häufig den Ladungen ins Gericht entzogen habe. „Geben Sie mir“, forderte er, „verdammt noch mal eine plausible Erklärung!“

Die erhielt er nicht, was den Anwalt zum Ausbruch veranlasste: „Erzählen Sie doch keine Opern! Mein Gefühl ist, dass Sie die ganze Geschichte erfunden haben.“ Was der Zeuge - nun selbst mit größerer Lautstärke – vehement bestritt. Weder werfe er Zeiten und Vorgänge durcheinander, noch habe er sich der Polizei bewusst entzogen.

Gleichwohl hielt es der Verteidiger für einen Witz, dass der Zeuge ihm erzähle, er sei zeitlich orientiert. John bezog sich auf die Auswirkungen, die sich aus einem fetalen Alkoholsyndrom, unter dem der 21-Jährige nachweislich leidet, ergeben. Zu ihnen gehört eine unumkehrbare vorgeburtliche Hirnschädigung. John beharrte auf einer sachverständigen Begleitung, um Näheres zu den Defiziten zu erfahren. „Das ist ein Bereich, wo Juristen nicht weiterkommen“, fand er.

Aus der Warte von Staatsanwalt Thorsten Förster, dem zweiten Zeugen des Tages, schien der junge Mann indes nicht das Blaue vom Himmel herab zu lügen. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mir einen Bären aufgebunden hat“, sagte er. Förster war Sitzungsvertreter in einem früheren Verfahren gegen den jugendlichen Kriminellen.

Der Staatsanwalt wurde hellhörig und bohrte später nach. In dem Gespräch nannte der Kyritzer den Namen des Angeklagten aus Zerbst. „Das tat er von sich aus. Ich habe ihm keinen Namen in den Mund gelegt“, so Förster. Und er fügte hinzu, dass ihm der 55-Jährige bereits als Straftäter bekannt war. Schon damals lautete der Vorwurf: gewerbsmäßige Hehlerei. „Das war ein bisschen dumm für ihn gelaufen“, schätzte der Beamte ein.

Mit welchen Wendungen in dem Verfahren noch zu rechnen ist, lässt sich nicht abschätzen. Fest steht, dass der Prozess am 25. Juni eine Fortsetzung findet. Als Zeugen eingeplant sind die zwei Männer, die bei den Diebstählen mitgeholfen haben sollen, und eine Freundin des Angeklagten.

Nicht verzichten will die Kammer außerdem auf die Betreuerin des nunmehr in Kyritz lebenden Hauptbelastungszeugen. Sie könne dem Gericht ein Gutachten des Experten Hans-Ludwig Spohr zur Verfügung stellen, hieß es. Der Arzt hat sich ausführlich mit dem fetalen Alkoholsyndrom befasst. Einer seiner Patienten war der 21-Jährige.