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Geschichte Beim Mauerfall die Mütze verloren

Auf 30 Jahre Polizeidienst blickt der Zerbster Holger Sticherling zurück. Er war auch am Brandenburger Tor beim Mauerfall im Einsatz.

Von Nadin Hänsch 10.11.2017, 06:00

Zerbst l „Genau vor 28 Jahren habe ich am Brandenburger Tor in Berlin gestanden, als die Mauer fiel.“ Seit 30 Jahren ist Holger Sticherling Polizist mit Leib und Seele. Der Regionalbereichsbeamte trat 1987 seinen Dienst bei der Polizei in Zerbst an. „Es war für mich beruflich und privat eine sehr bewegende Zeit“, erzählt der 53-Jährige. Zu den emotionalsten Momenten in seiner Dienstzeit gehört der Einsatz in Berlin, als am 9. November 1989 die Grenze geöffnet wurde.

„Ich war jung und ein absoluter Neuling im Polizeidienst. Keiner wusste so genau, was nun passieren wird“, beschreibt Holger Sticherling die angespannte Situation seitens der Volkspolizei an diesem Tag an der Berliner Mauer, der später Geschichte schreiben sollte. Mit seinem Einsatz war er nicht nur mittendrin im Geschehen, sondern ist auch ein Teil der Geschichte, über die er als Augenzeuge berichten kann.

„Zum Glück lief damals alles friedlich ab.“ Es hätte auch anders ausgehen können. „Wir hatten schließlich Befehle, denen wir folgen mussten“, denkt der Zerbster zurück. „Es war emotional sehr beeindruckend, alles war offen, der Ausgang ungewiss und dann lagen sich plötzlich alle Menschen glücklich in den Armen.“ Diese Bilder habe er noch genau vor Augen. „Als der Einsatz beendet war, habe ich meine Mütze im Getümmel verloren“, weiß der 53-Jährige noch gut.

Am 1. Oktober feierte Holger Sticherling sein Dienstjubiläum – 30 Jahre Polizeiarbeit liegen hinter ihm. „Der Beruf hat sich mit den Jahren sehr verändert“, findet der 53-Jährige. Das Ansehen der Polizisten und das Verhalten der Leute habe sich zum Negativen entwickelt. „Jugendliche haben oft wenig Respekt vor der Polizei.“ Das sei ein Problem der Gesellschaft, glaubt Holger Sticherling.

„Mein Beruf ist sehr abwechslungsreich, ich habe jeden Tag mit Menschen zu tun und man weiß nie, was morgen passiert. Aber das hat man sich eben so ausgesucht.“ Gegen einen Beruf, bei dem er nur am Schreibtisch sitzen müsste, würde er seinen nicht eintauschen wollen.

Nach seinem Abschluss 1980 an der Polytechnischen Oberschule in Leitzkau, absolvierte Holger Sticherling in zwei Jahren eine Lehre als Instandhaltungsmechaniker für bekleidungsverarbeitende Maschinen. „In Zerbst gab es ein Bekleidungswerk, dort habe ich als Mechaniker Nähmaschinen repariert.“ Im Anschluss folgte der eineinhalbjährige Grundwehrdienst. „Danach ging ich wieder in meinen Beruf zurück und habe meinen Meister in Maschinenbau gemacht.“

Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik sei es üblich gewesen, sich ehrenamtlich zu engagieren. „Nach meiner Lehre war ich freiwilliger Helfer der Volkspolizei und habe den Abschnittsbevollmächtigten (ABV) bei der Absicherung von Veranstaltungen – Disko oder der Aufmarsch am 1. Mai – geholfen.“

Irgendwann habe sich abgezeichnet, dass der ABV für den Bereich Nedlitz bald in den Ruhestand gehen würde und es wurde ein Nachfolger gesucht. „1987 habe ich mich dann entschlossen zur Polizei zu gehen als Anwärter auf den Posten, meine erste Tochter wurde im selben Jahr geboren und ich habe geheiratet – ein sehr aufregendes Jahr.“ Am 1. Oktober begann seine Laufbahn beim Volkspolizeikreisamt Zerbst.

„In der Ausbildungszeit wurden wir schon zu Einsätzen nach Leipzig geschickt, dort gingen die Leute zu den Montagsdemonstrationen auf die Straße.“

Holger Sticherling beendete seine Ausbildung mit dem Abschluss als Staatswissenschaftler an der Fachschule in Wolfen. „Meinen Abschluss haben sie nach der Wende nicht mehr anerkannt, ich wurde also nicht zum Unterleutnant befördert. Zwar hätte ich dann noch einmal studieren können, aber ich habe mich dagegen entschieden“, sagt Holger Sticherling. Und so sei er eben bei der Schutzpolizei geblieben.

„1989 wurde meine zweite Tochter geboren und ich war durch die Ausbildung beruflich viel von der Familie getrennt“, begründet der 53-Jährige seine Entscheidung, die er nicht bereut habe. „Ich habe mich eben für die Familie entschieden.“