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Heimatgeschichte Das verwaiste „Hexenhäuschen“

Heimatfotorätsel: Gesucht wird das Hexenhäuschen. Der Fotograf drückte einst in der Fritz-Brandt-Straße in Zerbst auf den Auslöser.

Von Daniela Apel 25.06.2017, 06:00

Zerbst l Das kleine Fachwerkgebäude, das auf der Schwarz-Weiß-Aufnahme zu sehen ist, weckt die meisten Erinnerungen bei den Anrufern. „Das ist das frühere Hexenhäuschen“, hat es Wolfgang Gens als gebürtiger Zerbster sofort erkannt. Mit seiner Schwester sei er als Kind gern während der Adventszeit dorthin gegangen. Denn dann verwandelte sich der winzige Bau in ein niedliches Knusperhäuschen mit einer Honigkuchenfassade, in dessen Inneren eine Hexe sowie Hänsel und Gretel zu sehen waren.

Von der märchenhaften Gestaltung erzählen ebenfalls Harald Neupert und Reina Schönfeld. „Zu Weihnachten war das Häuschen immer schön geschmückt“, bemerkt die Zerbsterin, die beim Anblick des alten Fotos an ihre Ausbildung zur Verkäuferin denken musste. Denn schräg gegenüber dem „Hexenhäuschen“ – auf der anderen Straßenseite – befand sich einst die „Süße Ecke“. „Da habe ich 1951 meine Lehre angefangen“, berichtet Reina Schönfeld. Sie erzählt von der „Knorpelkohle“, die sich eines Tages mit dem Kachelofen der „Süßen Ecke“ angelegt hatte. Denn als sie die Kohle nochmal auflegen sollte, gab es eine Verpuffung, die ihr einen tüchtigen Schreck bereitete und einen Lappen in den Nacken schleuderte, mit dem der Schornstein des alten Kanonenofens abgedeckt war. 1953 sei sie dann in eine andere Verkaufseinrichtung gewechselt. „Da hat der Turm aber noch gestanden“, weist Reina Schönfeld auf den Zinnenturm an der Stadtmauer, an den sich Heinz Stamann derweil nicht mehr erinnern kann.

Andere Volksstimme-Leser allerdings schon. „Der Turm gehörte zum Akenschen Tor“, sind sich der Zerbster Helmut Lehmann und Siegfried Schellin aus Güterglück sicher. Lothar Platte aus Schora spricht sogar von einem Pulverturm. Das stimmt so aber nicht ganz, wie Hobbyhistoriker Helmut Hehne weiß. Der Turm gehörte nicht zur ursprünglichen mittelalterlichen Befestigungsanlage. Wie sein gegenüberliegender Zwilling wurde der quadratische Turm mit den Zinnen erst um 1920 vom Architekten Hoppadietz errichtet und zwar als Nachahmung des Akenschen Tores, wie Hehne erläutert. Später seien die beiden Türme von der Feierabendbrigade der Stadtverwaltung abgetragen worden.

Rechts neben der Stadtmauer habe der Info-Kasten der Betriebssportgemeinschaft (BSG) „Motor Zerbst“ gestanden, ergänzt Helmut Lehmann noch. Unterdessen vermutet Klaus-Dieter Bombach richtig, dass das „Hexenhäuschen“ erst nach 1945 errichtet wurde. „Viele Geschäftsleute haben sich dort versucht“, schaut Lothar Platte zurück – ob mit dem Verkauf von Pokalen oder der Nutzung als Imbiss.

„Früher war da mal ein Gemüseladen drin“, erzählt Andreas Indenbirken. Daneben regt er an, das Schaufenster zu vergrößern und das „Hexenhäuschen“ ebenfalls wie das Kunstfenster auf der Breite als gläserne Galerie zu nutzen. Zugleich bedauert der Zerbster, dass der Turm mit den Zinnen nicht mehr existiert. „Das wäre heute kein schlechtes Bild“, meint Indenbirken. Auch die steinerne Brüstung gefiel ihm besser als das jetzige Stahlgeländer an der Nuthebrücke, unter der er als Kind oft spielte. Auch Ursula Hackemesser und Gisela Thiem aus Zerbst ordneten das historische Motiv korrekt ein.