1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Für vier Minuten Leben

Hilferuf Für vier Minuten Leben

Denise Jacob aus Zerbst musste ihr sechs Monate altes Töchterchen sterben sehen. Neben dem Verlust sorgen Friedhofsgebühren für Sorgen.

Von Franziska Ellrich 11.12.2016, 05:34

Zerbst/Dessau l „Irgendetwas stimmt mit dem Herzen nicht.“ An diesen Satz kann sich Denise Jacob noch sehr gut erinnern. Die Zerbsterin ist bereits im fünften Monat schwanger, als bei einem Kontrolltermin der Arzt mit ihr über einen Herzfehler und Wasser in den Organen spricht. Das ist jetzt etwa anderthalb Jahre her. Denise Jacob soll in eine Fachklinik nach Berlin. Dort heißt es: Das Baby würde schwerkrank zur Welt kommen, niemand wisse, wie groß die Überlebenschance ist.

Denise Jacob bekommt ein paar Tage Bedenkzeit. Soll sie das Baby holen lassen oder weiter warten? „Ich habe lange mit mir gerungen und gedacht, ein totkrankes Kind, das schaffe ich nicht“, flüstert Denise Jacob. Die junge Frau kann die Tränen bei diesen Worten nicht aufhalten. Wieder muss die Zerbsterin in die Klinik nach Berlin. Das kleine Mädchen kommt zur Welt, 1100 Gramm schwer. Amelie lebt nur vier Minuten lang und stirbt am 23. Oktober 2015.

Denise Jacob muss noch drei Tage in dem Krankenhaus bleiben, das tote Kind in einem Bett neben ihr. „Ich wollte Abschied nehmen.“ Dann muss Amelie in die Pathologie, Denise Jacob übergibt sie den Krankenschwestern – und wird ihre Tochter das nächste Mal in einem kleinen, weißen Sarg wiedersehen. Ab einem bestimmten Gewicht müssen auch die Kleinsten beerdigt werden. Darum kümmert sich der Bestatter Norbert Neumann.

Denise Jacob kennt den Dessauer von einer Trauerfeier und sucht bei ihm Hilfe. Nachdem sie tagelang niemanden bei den Berliner Behörden erreicht hat, um die Dinge in Sachen Bestattungskostenbeihilfe zu klären. Etwa 1500 Euro bekommt die Hartz-IV-Empfängerin vom Sozialamt, die Beerdigung der kleinen Amelie kostet doppelt so viel. Geld, das Denise Jacob nicht hat.

Die gelernte Gärtnerin ist froh, dass sie bis heute wenigstens die Bestattung bezahlen konnte. Für die Friedhofsgebühren landet eine Mahnung nach der anderen im Briefkasten. Fast 1100 Euro sind noch offen. Denise Jacob ist verzweifelt. Und trotzdem froh, dass es ein Grab für die kleine Amelie gibt. „So weiß ich sie immer in meiner Nähe.“ Die Zerbsterin lebt nah bei Dessau, die verstorbene Tochter liegt deswegen dort auf einem Friedhof.

Denise Jacob hat Fotos von der Beerdigungsfeier: Amelie im offenen Sarg, damit alle sich verabschieden können. „Wie eine kleine Puppe“, sagt Denise Jacob. Ihre Tochter Laura soll sich die Fotos trotzdem lieber nicht so genau anschauen. Für die Zehnjährige könnte der Schock zu groß sein. Denn Laura hatte sich schon so auf ihr Schwesterchen gefreut. „Ich habe gehofft, dass ich bald große Schwester werde“, erklärt Laura in schüchternem Ton. Als sie von dem Tod erfahren hat, habe sie viel geweint.

Denise Jacob ist bereits Mama von zwei Kindern. Ihr Sohn Sebastian lebt bei seinem Vater, Denise Jacob ist geschieden. Auch der Elfjährige hatte bereits große Pläne, was er mit seiner kleinen Schwester alles unternehmen will, erinnert sich Denise Jacob an die Zeit der Schwangerschaft. Damals hätte sie nie daran gedacht, dass sie heute einen Termin mit dem Amt ausmachen muss, um jemanden in ihre Wohnung zu lassen, der nachsehen will, ob es im Hause Jacob was zu pfänden gibt.

Die Zerbster Stadtverwaltung soll von Denise Jacob das Geld für den Friedhof eintreiben. Deswegen hat Denise Jacob einen langen Brief an die Stadt Zerbst geschrieben. Darin erzählt sie ihre Geschichte und spricht über ihre Bemühungen, regelmäßig ein paar Euro für den Friedhof zu überweisen. Doch die Zinsen, die Mahngebühren fressen sie auf, der Betrag wird nicht weniger.

„Mit jeder Seite dieses Briefes sind jede Menge Tränen geflossen“, sagt Bestatter Norbert Neumann. Regelmäßig telefoniert er mit der jungen Frau, macht ihr Mut. Aus der Verwaltung kam nur ein förmliches Schreiben zurück, zwei Zeilen, die auf das Sozialamt des Landkreises verweisen.

Auch Norbert Neumann weiß jetzt nur noch einen Ausweg: Er selbst ist der zweite Vorsitzende im Dessauer Verein Vergissmeinnicht. Dort hat man es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu helfen, die sonst oft außen vor sind. Neumann ruft zu Spenden für Denise Jacob auf, um die Kosten für die Grabstätte der kleinen Amelie bewältigen zu können. Neumann: „Ich wünsche mir so sehr, dass die Familie endlich zur Ruhe kommt.“

Wer helfen will, kann das mit einer Überweisung an den Verein Vergissmeinnicht, Sparkasse Dessau, IBAN: DE10 8005 3572 0115 0206 16, Verwendungszweck: Denise Jacob.