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Kein neuer Bahnhof Züge rauschen weiter durch

Auch zukünftig werden die Regionalbahnen auf der Strecke von Magdeburg nach Dessau in Jütrichau keinen Stopp einlegen.

Von Thomas Kirchner 07.12.2020, 00:01

Jütrichau l „Vermerk über die Reaktivierung der Bahnstation Jütrichau“, heißt ein Papier, das der Volksstimme vorliegt, in dem jüngst die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) die aktuelle Situation in und um Jütrichau beleuchtet hat. Hintergrund ist die Prüfung, ob der Haltepunkt gegebenenfalls reaktiviert werden sollte.

„Den hohen Investitions- und Betriebskosten hätten auch unter günstigen Randbedingungen nach damaligen Prognosen im Schnitt nur 20 bis 30 Ein- und Aussteiger gegenübergestanden. Um die hohen Kosten von etwa 800 000 Euro für den Neubau der Bahnsteige und etwa 29 000 Euro jährlichem Unterhalt vor dem Hintergrund der geringen Nutzerzahlen zu vermeiden, entschied das Land Sachsen-Anhalt den Haltepunkt Jütrichau zum Dezember 2012 zu schließen“, heißt es eingangs in dem Vermerk.

Die wesentliche Einflussgröße für das Fahrgastaufkommen in Jütrichau seien die im Einzugsbereich der Bahnstation wohnenden Menschen. Im fußläufigen Einzugsbereich liegt mit 300 Einwohnern der Ort Jütrichau selbst. Im erweiterten Einzugsbereich – etwa mit Auto oder Fahrrad erreichbar – lägen die Ortsteile Pakendorf und Wertlau mit zirka 80 und 30 Einwohnern.

„Bei den Ortsteilen Jütrichau und Pakendorf gab es seit der Bestandsprüfung der Bahnstation keine signifikanten Veränderungen der Einwohnerzahlen. Der Ortsteil Wertlau konnte seitdem die Einwohnerzahl von 30 auf 70 ungefähr verdoppeln. In Summe aller drei Ortsteile blieb die Einwohnerzahl aber nahezu unverändert. Insofern sind die damaligen Annahmen weiterhin gültig“, so das Fazit der neuerlichen Prüfung.

Dem widerspricht Jütrichaus Ortsbürgermeister Denis Barycza. „Mal abgesehen davon, dass im Ortsteil Wertlau im Jahr 2012 74 Einwohner Zuhause waren und nicht nur 30, stimmen die Einwohnerzahlen insgesamt nicht“, macht Barycza deutlich. Die Zahl der Einwohner sei im Vergleich zu 2012 nicht nahezu gleichgeblieben, sondern hat sich um mehr als 60 erhöht.

„Laut Einwohnermeldeamt liegen die aktuellen Einwohnerzahlen in Jütrichau bei 331 (2012/284), in Pakendorf bei 88 (2012/76) und in Wertlau bei 79 (2012/74) – Tendenz weiter steigend, da gerade auch in Jütrichau neue Flächen für die Wohnbebauung erschlossen werden“, so der Ortsbürgermeister. Und da könne man mit einer Bahn-Anbindung des Ortes natürlich punkten.

„Die Zahlen mögen alle zutreffend sein. Sie erreichen aber keine Größenordnung, die für die Bedienung mit dem Massenverkehrsmittel Eisenbahn relevant wäre und die Bestellung von Schienenpersonennahverkehr rechtfertigen würde“, schreibt Nasa-Sprecher Wolfgang Ball auf Nachfrage.

Zum Vergleich: In Prödel gab es im Jahr 2012 ganze 243 Einwohner und aktuell sind 233. Nimmt man Dornburg (2012/284 und aktuell 254) dazu, kommt man aktuell beim Haltepunkt Prödel auf einen Einzugsbereich von 527 - das sind ganze 34 Einwohner mehr als in Jütrichau, Pakendorf und Wertlau.

In Lübs sieht es noch düsterer aus. Dort waren es 2012 lediglich 363 und aktuell sind es 337 Einwohner. Hinzu kommt, dass beide Haltepunkte – Prödel und Lübs – nur 2,5 Kilometer auseinander liegen. Und auch am Haltepunkt Lübs wurde 2018 gebaut. „Die DB erneuert an der Station Lübs beide Bahnsteige, einschließlich Wetterschutzhaus und Wegeleitsystem“, war die Aussage der Bahn im April 2018.

Wurde hier wie in Jütrichau auch nach Kosten und Nutzen entschieden? Wie viele Ein- und Aussteiger gibt es in Lübs und Prödel täglich? „Ja“, betont Ball. Nachfrage und Potenzial stünden in angemessenem Verhältnis zu den Kosten. „Die Bahnsteige in Lübs konnten zum damaligen Zeitpunkt in einem kostengünstigen Verfahren, dem sogenannten „Einfachausbau“, erneuert werden. Hierbei wurde zum größten Teil der vorhandene Bahnsteigkorpus weitergenutzt und der Bahnsteigbelag erneuert. Dies war in Jürtichau aufgrund des erforderlichen Neubaus der Gleis- und Bahnübergangsinfrastruktur nicht möglich“, erläutert Ball.

In Prödel gebe es laut Nasa-Sprecher täglich 40 bis 50 und in Lübs sogar 50 bis 60 Ein- und Aussteiger. „Damit liegen beide Stationen oberhalb der Prüfgrenze laut öffentlichen Personennahverkehrsplan (ÖPNV-Plan) von 30 bis 50 Ein- und Aussteigern pro Tag für bestehende Bahnhöfe und Haltepunkte. Eine Schließung wurde und wird daher für die Haltepunkte Prödel und Lübs nicht angestrebt“, so Wolfgang Ball.

In Jütrichau seien es etwa 15 bis 25 Ein- und Aussteiger gewesen und habe damit unter der Grenze für eine wirtschaftlich sinnvolle Eisenbahnbedienung gelegen. „Mit der Entscheidung, die Station Jütrichau zu schließen, verkürzte sich die Fahrzeit für eine große Zahl an Fahrgästen, immerhin über 2000 am Tag. Dies macht das Angebot attraktiver und stärkt letztlich die Linie“, betont Ball.

Bürgermeister Andreas Dittmann sieht nicht nur wirtschaftliche Aspekte für einen funktionierenden und auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittenen ÖPNV. „Die im Vermerk enthaltenen Feststellungen beziehungsweise Bedingungen für eine Reaktivierung des Haltepunktes sind identisch mit der im Jahr 2012 vorgetragenen Begründung zur Schließung des Haltepunktes“, sagt Dittmann.

Solange die Bewertungskriterien nicht geändert würden, werde es zu keinem anderen Fazit kommen. „Daseinsvorsorge lässt sich indes nicht nur betriebswirtschaftlich betrachten. Aber das ist hier eben der Maßstab, was schade ist“, so der Rathauschef.