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Museum Zeugt die Jungfer vom Erbrecht?

Zur Eröffnung einer neuen Kabinettausstellung im Museum am Weinberg war von einem Rechtshistoriker Interessantes über Zerbst zu erfahren.

Von Daniela Apel 17.09.2019, 01:01

Zerbst l Zerbst war im Mittelalter eine bedeutende Metropole. Eine Handelsstadt, die nicht nur über einen Hafen an der Elbe verfügte, sondern sogar über Schiffe. Diese exportierten das beliebte Bitterbier unter anderem bis nach Hamburg, wo es offenbar derart regen Absatz fand, dass sich die Bierbrauer der Hansestadt bedroht fühlten.

Dies ist ein Aspekt, dem sich die neue Kabinettausstellung im Museum am Weinberg widmet. Daneben geht es um das damalige Rechtsverständnis, das zumindest symbolhaft bis heute erhalten ist, auch wenn es längst nicht mehr jeder zu interpretieren weiß. Das verdeutlichte Professor Heiner Lück mit seinem Vortrag über „Roland und Butterjungfer“, dem die mehr als 60 Gäste der Ausstellungseröffnung interessiert lauschten.

Als „Rechtshistoriker im Unruhestand“ stellte ihn Agnes-Almuth Griesbach vor. Die Museumsleiterin machte neugierig auf Fakten, die vielleicht das Bild über die Zerbster Butterjungfer „revolutionieren“ könnten. Tatsächlich brachte Heiner Lück die bisherige Deutung der vergoldeten Bronzefigur ins Wanken, die inzwischen seit Jahrhunderten auf einer sieben Meter hohen Eichensäule vor dem Roland steht. Der oft wiedergegebenen Sage nach wird sie mit dem Recht auf Verkauf von Butter, Käse und Eiern auf dem Zerbster Markt in Verbindung gebracht. Für die Verlagerung des Verkaufs vom außerstädtischen sogenannten Butterdamm ins Stadtinnere musste sie für jeden Schritt einen Goldtaler zahlen.

Die Butterlegende sei der Figur erst 1801 angedichtet worden, als die Kenntnis über ihre eigentliche Bedeutung verloren ging, meinte Heiner Lück. Seinen Ausführungen nach ist die Jungfer Ausdruck städtischen Selbstbewusstseins und zugleich ein Rechtsdenkmal. Genauer gesagt, weist die 30 Kilo schwere Figur von 1647 auf das weibliche Erbrecht hin, die so genannte „Gerade“, die im Sachsenspiegel – dem wichtigsten mittelalterlichen Rechtsbuch – genau definiert ist.

Demnach hinterließ die Frau in weiblicher Linie ihren Töchtern oder anderen weiblichen Verwandten ihren gesamten Nachlass – Kleidung, Schmuck, Decken, Sessel, Truhen und ähnliches. Der Zerbster Rat indes wich von dieser Regelung ab und erließ 1375 eine eigene zu Gunsten des Halbteilungsrechtes, was vermutlich auf den Einfluss der Flamen in der Region zurückging, wie Lück darlegte. So waren Schafe und Pfannen sowie Gold und Silber, sofern es nicht an der Kleidung verarbeitet war, von der „Gerade“ ausgeschlossen. Gleiches galt für Waffen.

Als offensichtliches Zeichen für diese Rechtspraxis wurde die erstmals 1403 in einer Kämmereirechnung erwähnte Jungfer wohl auf dem Marktplatz, dem Ort der Repräsentanz städtischer Stärke und Autonomie, aufgestellt. Die goldene Kugel, die die nun in der Ausstellung zu sehende ältere Figur von 1516 in der Hand hält, deutete Heiner Lück mit Verweis auf eine ähnliche Abbildung in der Wolfenbütteler Handschrift des Sachsenspiegels als Symbol für das weibliche Erbe, die „Gerade“.

Eine rechtliche Bedeutung hat ebenfalls der seit 1385 urkundlich nachweisbare Zerbster Roland. Allerdings sei schwierig zu sagen, wofür die zunächst hölzerne und später in Stein gemeißelte Figur ursprünglich stand, so Heiner Lück. Seiner Meinung nach kommen die Zollfreiheit und die Münzfreiheit in Frage. Vielleicht bestehe auch eine Beziehung zum Zerbster Fehmgericht, überlegte der Rechtsprofessor.