1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Rettungsleitstelle weist Anrufer ab

Notruf Rettungsleitstelle weist Anrufer ab

Eine Familie aus Zerbst braucht Hilfe und wählt den Notruf. Die Aussagen der Familie und der Leitstelle zum Vorfall unterscheiden sich sehr.

Von Thomas Kirchner 27.01.2020, 00:01

Zerbst l Das neue Jahr hat für Andrea Hesse, ihren Freund und ihre Eltern alles andere als ruhig und beschaulich begonnen. Am Morgen des 2. Januar bekommt sie einen Anruf von ihrer Mutter, dass es ihrem Vater nicht besonders gut geht. Zusammen mit ihrem Freund eilt sie zu den Eltern. Ihr 70-jähriger Vater kommt nicht aus dem Bett. „Arme und Beine der linken Seite waren nicht zu bewegen. Wir haben ihn weder hoch, noch verlegt bekommen“, schildert die Tochter.

Das Paar versucht den kassenärztlichen Notdienst über die 116 117 anzurufen, doch niemand nimmt ab. „Wir haben uns dann entschieden einen Notruf über die 112 abzusetzen“, sagt Andrea Hesse. Was dann geschieht, mach die Familie bis heute fassungslos. Marcel Reppin, Andreas Lebensgefährte, wählt die 112. „Ich sagte, dass wir medizinische Hilfe benötigen, da wir hier einen älteren Herrn haben, der sehr schwach ist und nicht aus dem Bett aufstehen kann. Da meinte der Herr am Telefon, dass es sich bei jemanden, der nicht aus dem Bett kommt, nicht um einen Notfall handelt“, schildert Reppin das Telefonat.

„Insgesamt gab es zu diesem Sachverhalt zwei Anrufe, die zwei Disponenten entgegennahmen. Aus beiden Telefonaten war nicht zu erkennen, dass es sich bei der geschilderten Sachlage um einen rettungsdienstlichen Notfall handelte“, schreibt Udo Pawelczyk, Pressesprecher beim Landkreis Anhalt-Bitterfeld auf Volksstimme-Nachfrage.

Auf Nachfragen beim ersten Anruf habe der Anrufer gesagt, dass es sich um keinen lebensbedrohlichen Zustand handelt. „Auf Nachfragen des Disponenten wurden auch keinerlei Schmerzen, Symptome oder Verletzungen angegeben. Der Anrufer bekam die Person allein nicht aus dem Bett hoch und äußerte den Wunsch nach Abtransport des Mannes in ein Krankenhaus“, so der Landkreissprecher.

Auf der Grundlage dieser Informationen habe der Disponent richtigerweise entschieden, dass es sich nicht um einen rettungsdienstlichen Notfall handelte. Er habe deshalb den Anrufer an den kassenärztlichen Notdienst verwiesen.

Das sieht Marcel Reppin ganz anders. „Ich habe dem Mann in der Leitstelle dann erklärt, dass der Patient beim Versuch sich aufzurichten, Wasser lassen muss. Ich schilderte, dass er keine Kontrolle über seinen linken Arm und Bein hat, und wir ihn deshalb nicht verlegt bekommen“, so Reppin. Da sei er mit derselben Begründung wie schon zuvor abgewimmelt worden – er solle sich an den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst 116 117 wenden.

„Ich sagte ihm, dass ich das vorher eine halbe Stunde lang versucht habe und dort niemand ran geht. Dann meinte der Herr am anderen Ende, das läge an den Feiertagen und ich solle Geduld haben. Dann habe ich aufgelegt“, so Marcels Erinnerung an den Gesprächsverlauf. Zwei Minuten später habe er erneut die 112 gewählt. Inhaltlich hätten sich die beiden Gespräche kaum unterschieden, erinnert sich Marcel Reppin.

Reppin: „Ich habe ihm dann gesagt, dass er der zweite heute ist, der uns nicht helfen möchte und ich gerne seine Dienstnummer hätte und seinen Vorgesetzten sprechen möchte, da ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einleiten werde – wegen unterlassener Hilfeleistung. Da meinte der Herr, dass sein Vorgesetzter die Einsatzleitstelle Anhalt-Bitterfeld wäre und dann wurde das Gespräch beendet.“

„Den zweiten Anruf nahm ein anderer Disponent entgegen, der nach der Schilderung des Sachverhaltes auf die Aussagen seines Kollegen verwies“, entgegnet Udo Pawelczyk zum zweiten Anruf. Der Anrufer sei sehr ungehalten gewesen. Bevor weitere sachdienliche Nachfragen gestellt werden konnten, sei das Gespräch abgebrochen.

„Der Disponent hat das Gespräch aber nicht durch Auflegen des Hörers beendet“, betont der Landkreissprecher. Pawelczyk: „Da das zweite Gespräch abrupt abbrach, lag es zur weiteren Ermittlung der Sachlage im Ermessen des Disponenten zurückzurufen. Davon wurde kein Gebrauch gemacht.“

„Mit Unterstützung von Bekannten haben wir es geschafft, meinen Vati selbst in die Zerbster Notaufnahme zu bringen“, sagt Andrea Hesse. Er sei mit Verdacht auf Schlaganfall und einem Blutdruck von über 200 nach der Untersuchung auf die Intensivstation gebracht worden.

„Die behandelnde Ärztin in der Zerbster Klinik bestätigte, dass es sich sehr wohl um einen Notfall handelte“, sagt Andrea Hesse. So etwas dürfe nicht passieren, ärgert sie sich. Der Vater sei inzwischen auf dem Weg der Besserung. „Er wird in Kürze in eine Reha-Klinik verlegt“, so die Tochter.

Die Zerbster Helios Klinik wollte sich dazu nicht äußern und beruft sich auf die ärztliche Schweigepflicht.