Schneewittchen Pfiffiges Ballett

Die Premiere von "Schneewittchen und die sieben Zwerge" ist im Anhaltischen Theater in Dessau angelaufen.

Von Andreas Behling 23.10.2016, 23:01

Dessau l Am Anfang – der Saal ist noch hell – fällt der Blick wie durch ein Fernrohr auf ein Schloss, dass an Neuschwanstein erinnert. Unschuldig in seinem Weiß, viele Türmchen. Ein architektonischer Traum. Doch ohne rechte Zufahrt. Tatsächlich wohl nur aus der Luft erreichbar. Vielleicht mit einem Heißluftballon? Das Gefährt nutzt jedenfalls der Prinz, um mit seiner Geliebten am glücklichen Ende winkend zu entschwinden. Sie so von dannen schweben zu lassen, war von Chefchoreograf Tomasz Kajdanski in seiner Ballett-Version des Märchens „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ auf die Bühne des Anhaltischen Theaters gezaubert worden. Nur ein pfiffiger Einfall von vielen.

Dass die Premiere am Freitagabend heftig gefeiert wird, liegt natürlich auch an der bösen Königin, die vom allwissend raunenden Mann im rauchenden Spiegel erfahren muss, dass das Schneewittchen hinter den sieben Bergen gleich tausendmal schöner sei als sie selbst. Anna-Maria Tasarz gibt die garstige Frau mit rot-schwarzen Hörnern und Zackenhandschuh diabolisch gut. Ihr illuminierter Zauberstab ähnelt einem Lichtschwert, wie es die dunkle Seite der Macht in der Star-Wars-Saga bedrohlich handhabt. Und in der für arglistige Naturen eingerichteten Versuchsküche kann sie sich auch pyrotechnisch austoben. Fast ein wenig schade, dass sie später im grell zuckenden, irrlichternden Geblitze als mageres Gerippe endet. Von allem boshaften Fleische befreit sozusagen.

Kajdanski, der für das Dessauer Theater eine Neufassung seiner Inszenierung am Volkstheater Rostock schuf, treibt die Handlung im von Dorin Gal gestalteten Bühnenraum – auch die Kostüme stammen von ihm – stringent voran. Die eingängige Musik Bodo Reinkes, aufgenommen von der Norddeutschen Philharmonie Rostock, ist für die Geschichte maßgeschneidert. Seine Melodien haben von allem etwas. Auf Schmelz folgt Schmiss. Es geht fetzig für die Ohren zu. Mal aber auch fein-zart.

Allerdings spielt sich für die Augen nicht alles wirklich schlüssig ab. Wobei: Wer fragt im Märchen ernsthaft nach Plausibilität? Und trotzdem: Als es urplötzlich für das durch den Wald wandelnde Schneewittchen rote Rosen regnet, würde man sich nicht wundern, wenn Hildegard Knefs Stimme erklingen würde. Immerhin geht es bei der so weiter: „Mir sollten sämtliche Wunder begegnen, die Welt sollte sich umgestalten und ihre Sorgen für sich behalten.“

Was doch irgendwie ziemlich treffend ist. Erst müssen ein paar zuweilen finster angestrichene Hürden übersprungen werden, bevor alles rosarot leuchtet und der eine Mann fürs Leben erscheint. Beim Schneewittchen, dem Nicole Luketic durchaus schnippische Seiten abgewinnt – köstlich etwa die Szene, als sich die sieben Zwerge vorm stärkenden Mahl äußerst gründlich waschen müssen – ist das neben dem Gewittersturm im düsteren, zum Leben erwachten Dickicht natürlich die hinterhältige Apfel-Attacke der Königin, dieser gemeingefährlichen Kanaille.

Der Moment des erlösenden Erwachens im gläsernen Sarg könnte eine Prise mehr Dramatik vertragen. Statt eines krachenden Stolperns, wodurch das giftige Obst aus der Kehle zurück ans Tageslicht gelangt, reichte ein simples Küsschen vom Prinzen (Julio Miranda), um den Bann zu brechen. Was den Jubel der wunderbaren Wichtel nicht mindert. Aus der mit wadenfreien fellartigen Hosen und derben Schuhen ausstaffierten Schar irgendeinen mit besonders lobenden Worten herauszustreichen, verbietet sich indes, um Ungerechtigkeit zu vermeiden. Die Zipfelmützenträger funktionierten als Team grandios. Ob sich nun von ständiger Müdigkeit geplagt in die Kissen kuschelnd oder von Niesanfällen geplagt, die glorreichen Sieben sind schlichtweg liebenswerte Typen.

Jeder von ihnen hat im dekorativen Butzemannhaus sogar einen eigenen Monitor, aus dem zuweilen die neuesten Gefahrenmeldungen dringen. Und noch ein kleiner Gag außerhalb der Grimmschen Geschichte am Rande: Nach absolvierten Solo-Tänzen – schon vorher hatten sich die zipfelmützigen Gesellen, denen Kinder aus mehreren Gruppen und Vereinen als Bäume, Vögel, Hexen gekonnt zur Seite standen, neckisch durch die Stuhlreihen geschlängelt – fliegen ein paar Süßigkeiten in die begeisterte Menge. Wer Glück hat, greift da schnell zu und wirft einen Blick auf die bunte Verpackung der Gummibonbons: Es sind wahrhaftig Vitamin-Zwerge.

Die nächsten Vorstellungen des Balletts sind am 30. Oktober ab 16 Uhr, am 4. November ab 19.30 Uhr, am 19. November ab 17 Uhr, am 2. Dezember ab 19.30 Uhr und am 26. Dezember ab 17 Uhr. Beim Besuch mit bis zu zwei Erwachsenen und mit zwei oder mehr als zwei Kindern kostet der Eintritt nur 13 Euro pro Person. Ein Besuch mit vielen Kindern lohnt sich besonders: Der siebte Zwerg kommt gratis in die Vorstellung.