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Studieren Ü40 Endlich den Job machen, der Spaß macht

Studieren Ü40 - dazu braucht man Selbstbewusstsein und viel Mut. Zerbsterin Yvonne Hein hat bewiesen, dass Träume wahr werden können.

Von Petra Wiese 15.05.2020, 06:00

Zerbst l Gymnasium, Abitur, Studium. Mit 18, 19 oder auch 20 Jahren beginnen die meisten nach der Schule ihr Studium. In dem Alter waren auch die meisten Erststudenten, als Yvonne Hein im Oktober 2016 ihr Architekturstudium an der Hochschule Anhalt in Dessau begann. Nur zwei, drei von den insgesamt 50 waren ein paar Jahre älter und hatten schon Berufserfahrung. „Ich kam mir vor wie die Mutti von allen“, so die Zerbsterin. Sie war 25 Jahre aus der Schule raus, als sie sich der Herausforderung des Studiums stellte.

Als gelernte vertriebsorientierte Bankkauffrau war sie beim Finanzcenter Zerbst tätig. „Das hat mich nicht erfüllt“, so Yvonne Hein, „Kreditakten kann man nicht schöner machen. Ich war unzufrieden.“ Mit 30 war sie schon einmal dicht dran, neue Wege zu beschreiten. Aber Kinder und Hausbau hielten sie ab, und auch Bafög hätte es nicht für sie gegeben.

Mehr als zehn Jahre später machten es die Lebensumstände schließlich doch noch möglich. Mit dem Abizeugnis von 1992 bewarb sie sich an der Hochschule Anhalt um die Studienzulassung. Der erste Schritt. Dann suchte sie den Kontakt zur Hochschule, fuhr nach Dessau und ließ sich beraten. „Ich wollte wissen, ob das überhaupt machbar ist“, erzählte sie, dass sie dort an eine Mitarbeiterin geriet, die ihr aufgezeigt hat, was auf sie zukommen würde und ihr Mut gemacht hat.

Auch ihre Schwester habe sie ermutigt. Ihr zu dem Zeitpunkt 15-jähriger Sohn fragte, ob das denn sein müsste. Die zwölfjährige Tochter meinte „mach doch“. Die Vierjährige war völlig unbekümmert, und die Eltern ahnten, dass ein bisschen was auf sie kommen würde. Ohne ihre Eltern, wäre das wahrscheinlich nicht machbar gewesen, ist Yvonne Hein ihnen dankbar, dass sie sich viel um Töchterchen Olivia gekümmert haben.

Die Zerbsterin hat sich einen Traum verwirklicht. „Architektur wollte ich schon immer studieren“, erzählte sie. Ursprünglich waren es aber Turnschuhe, die sie als junge Leichtathletin habe entwerfen wollen. Der Cousin im Westen hatte immer coole Turnschuhe, die eigenen waren „doof“. Sportwissenschaften und Architektur gab sie dann auch als Studienwunsch an, um die damalige Erweiterte Oberschule – heute Gymnasium – besuchen zu können.

Die Wende kam und alles war anders. Yvonne Hein erinnert sich an eine Art Orientierungslosigkeit. Ihr Vater riet ihr, etwas mit Zukunft zu machen – Bankwesen. Sie ging nach Schwäbisch-Hall, kehrte 1995 in die Heimat zurück. „Ich hatte nie wirklich Spaß in dem Job“, blickt sie auf die vielen Jahre zurück. Das ist nun anders.

„Jetzt bin ich zufrieden, wenn ich von der Arbeit komme“, sagt sie und spricht von einem „inneren Glücksgefühl, etwas geschaffen zu haben.“ Seit April ist sie jetzt beim Ingenieurbüro Feldmann in Zerbst angestellt. Aber eigentlich ist sie auch noch Studentin im achten Semester. Ihre Bachelorarbeit muss sie nur noch in die richtige Form bringen, um sie abgeben zu können. Anfang Juni kann sie die Arbeit einreichen.

Thema ihrer Bachelorarbeit ist „Die Wiederherstellung der historischen Fassade am Klausurflügel des ehemaligen Frauenklosters in Zerbst“. Die Arbeit entstand „ganz nebenbei“, da sie sich schon im siebten Semester als Semesteraufgabe im Fach Denkmalpflege mit der Fensterplanung für die Klosterkirche und den Klausurflügel beschäftigte.

So weit ist die inzwischen 46-Jährige gekommen. Sie erinnert sich schmunzelnd an die Anfänge des Studiums. Warum will ich Architekt werden, sollten die jungen Studenten bei einem Professor den ersten Vortrag halten. Alle senkten den Kopf, bis Yvonne Hein sich entschloss, „ich fange an, damit ich das Ende meines Studiums noch erlebe.“ Einen gewissen Respekt erwarb sich die „Ältere“ unter ihren Mitstreitern. Außerdem hatte sie einen ganz anderen Stand bei den Professoren.

Konsequent verfolgte sie ihre Ziele, „weil es mich interessiert hat“. „Ich war bei jeder Vorlesung dabei“, kann sie sagen – bis auf ein einziges Mal, da habe sie niemanden für ihre Tochter gefunden. Es habe auch Vorlesungen gegeben, da habe sie morgens ganz alleine gesessen. „Ich habe alles aufgesaugt“, so Yvonne Hein. Ihre Kommilitonen hätten sie oft um Meinung und Rat gefragt.

Die Ü40-Studentin wurde Vorreiterin, bekam Bestnoten. „Nur Englisch war mein Hassfach“, erklärte sie, dass sie noch nie ein Sprachgenie gewesen sei. Die ersten vier Semester wurde ausgesiebt, viele blieben auf der Strecke. Nur noch die Hälfte hielt zur Stange. Im siebten Semester waren von den 50 Studenten vom Beginn noch 17 über.

Während Bauphysik und Tragwerksplanung eben sein mussten, wurden die Fächer Denkmalpflege, Sanieren im Bestand und Entwerfen ihre liebsten. Die viele Praxis während des Studiums bot Yvonne Hein Gelegenheit, Dinge auszuprobieren, zu experimentieren und ihre Kreativität auszuleben. Mit einer Sitzbank aus Beton, der nicht stärker als zwei Zentimeter sein durfte, gewann sie mit ihrer Projektgruppe den Studentenwettbewerb. Die Bank steht jetzt in der Hochschule aus, als Beispiel für andere Studenten.

Bemerkenswert war auch der Entwurf für einen innovativen Glühweinstand, der so flexibel sein sollte, dass er in einen Kleintransporter passt. Der war eigentlich für den Dessauer Weihnachtsmarkt bestimmt. Er sollte dann in Eigenregie gebaut werden, aber dazu sei es nie gekommen, so Yvonne Hein. Als eine interessante Aufgabe im Studium hat sie auch den Entwurf einer Bassgitarrenwerkstatt in Erinnerung. Die Vielseitigkeit des Studiums schätzte sie ebenso, während sie das fröhliche Studentenleben der Jugend abwählte. Da hatte sie keine Ambitionen und die Kinder Vorrang.

Die Prüfungen fielen ihr durchweg leicht, das war schon früher in der Schule so gewesen. Außerdem hatte sie aufmerksam zugehört und alles aufgenommen. Aber: „Ich hatte nicht erwartet, dass alles so glatt laufen würde“, gibt sie zu. In manchen Prüfungen lag die Durchfallquote schließlich bei 84 Prozent. Die 1,4 Gesamtnote am Ende des Studiums muss ihr erst einmal jemand nachmachen. „Alles richtig gemacht“, blickt sie zurück und hat auch bei Freunden und Bekannten viel Anerkennung gefunden.

Nun ist es nur noch die Bachelorarbeit auf dem Weg zum Ziel. Mündliche Verteidigungen waren jetzt wegen Corona abgesetzt, aber auch das wäre keine Hürde mehr für Yvonne Hein. Mit dem achtsemestrigen Bachelor of Arts hat sie sich die Grundlage für die Eintragung bei den Architektenkammern der Länder erworben, die sie dann auch zur freischaffenden Tätigkeit berechtigt. Zwei Jahre Berufserfahrung nach dem Abschluss braucht es noch obenauf.

Irgendwann will sich die 46-Jährige vielleicht tatsächlich selbständig machen, doch das steht noch in den Sternen. Zunächst fühlt sie sich bei Tilo Feldmann, von dem sie noch einiges lernen kann, bestens aufgehoben. „Ich möchte jetzt einfach diesen Job machen“, sagt sie zufrieden.