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Wildwarner Ist Pilotprojekt ein Flop?

Seit 1 1/2 Jahren stehen 138 Wildwarner zwischen Jütrichau und Tornau. Statt Wildunfälle zu reduzieren, ist die Zahl eher gestiegen.

Von Thomas Kirchner 16.06.2020, 01:01

Jütrichau (mz/vs) l Wildunfälle sind das höchste Unfallrisiko auf Sachsen-Anhalts Straßen. Alle halbe Stunde krachen statistisch gesehen Reh, Wildschwein oder Hirsch in ein Auto. Bisher wurde versucht, mit Lichtreflexen das Problem zu lindern. Blaue Reflektoren an Straßenpfosten sollen Tiere davon abhalten, der Straße zu nahe zu kommen. Nach Einschätzung von Fachleuten verloren viele Reflektoren aber an Wirkung, da sich die Tiere an die Reflexe gewöhnt hatten. Neue Akustik-Warner sollen Abhilfe schaffen.

Die bundesweit ersten Geräte wurden im Oktober 2018 zwischen Jütrichau und Tornau installiert. Sie sind Teil eines deutschlandweit einzigartigen Pilotprojekts, um Wild vom Überqueren der Straße abzuhalten. Pfeiftöne sollen helfen, die Tiere abzuschrecken. Das Besondere: Da sich die Frequenz mit der Temperatur ändert, soll ein Gewöhnungseffekt verhindert werden. Und: Die Geräte arbeiten auch tagsüber im Hellen. Sie erkennen Fahrzeuge nicht nur am Licht, sondern auch an ihren Fahrgeräuschen. Zusätzlich zum Pfeifton werden Lichtblitze ausgelöst.

„Eine bundesweit bisher einmalige technische Lösung“, sagte Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) als die Warner aufgestellt wurden. Reduziert haben die kleinen schwarzen Kästen die Zahl der Wildunfälle auf der gut zwei Kilometer langen Teststrecke bislang aber nicht. Im Gegenteil: „An der B 184 bei Jütrichau ist sie sogar leicht gestiegen“, sagt Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) auf Nachfrage. Trotz der Wildwarner haben sich seit dem Start der dreijährigen Testphase im Oktober 2018 auf der Trasse 54 Wildunfälle ereignet.

Manche Experten waren damals schon skeptisch. Ein Tier ist anfangs zwar vom Pfeifton irritiert: „Wenn es aber eine Weile feststellt, dass davon keine Gefahr ausgeht, blendet es das aus“, sagte der Leiter der Unfallforschung der Versicherer, Siegfried Brockmann damals gegenüber der Volksstimme.

Das Prestigeprojekt ist im Verkehrsministerium an höchster Stelle angesiedelt. Der Minister selbst hatte die Anlage nahe Jütrichau unter großer Medienaufmerksamkeit freigegeben. „Mit unserem Pilotprojekt zur Wildunfallprävention haben wir uns bundesweit auf absolutes Neuland begeben“, so Webel heute. Noch nie zuvor seien in Deutschland solche optisch-akustischen Wildwarngeräte getestet worden.

Die Bilanz der optisch-akustischen Wildwarner an den Teststrecken im Land – weitere befinden sich in den Landkreisen Börde, Salzwedel und Stendal – sei dabei unterschiedlich. „Entlang der B 107 im Landkreis Stendal sei die Zahl der Wildunfälle stark zurückgegangen, an der B 245a in der Börde annähernd gleich geblieben und bei Jütrichau eben gestiegen“, zählt Webel auf.

Versprochen hatte der österreichische Hersteller einen Rückgang der Wildunfälle um 70 bis 80 Prozent. Mittlerweile arbeitet dem Minister zufolge bereits die dritte technische Generation der ursprünglich eingesetzten Geräte. „Eine nochmalige Modifizierung wird in Kürze folgen“, kündigt er an. In die ersten Geräte hatte das Land 60.000 Euro investiert. Hinzu kamen seither Kosten für deren Wartung und Pflege.

Zwar stellt Thomas Webel klar, dass erst am Ende der dreijährigen Testphase Schlussfolgerungen aus den bisher gesammelten Daten gezogen würden. Dass man in Magdeburg bislang aber alles andere als zufrieden ist mit den Ergebnissen, unterstreicht die Aussage seines Sprechers Andreas Tempelhof: „Unsere Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. Der vom Hersteller versprochene drastische Rückgang der Wildunfälle ist gerade auf der B 184 nicht eingetreten.“

Den Hauptgrund sieht der Sprecher in technischen Unzulänglichkeiten der Geräte. So reiche die Stromversorgung durch Solarenergie oft nicht für einen 24-Stunden-Betrieb. Und: „Was uns Sorge macht, ist der Fakt, dass sich auf dem Abschnitt der B 184, der mit Wildwarnern ausgerüstet ist, mehr Wildunfälle ereignet haben, als auf den Referenzabschnitten, die nicht mit Wildwarnern ausgerüstet sind“, beschreibt der Ministeriumssprecher.

Der Dessauer Kreisjägermeister Michael Mitsching, der die Wildwarner im Blick hat, sieht in den dargestellten Ergebnissen dagegen keinen Nachweis für die Unzulänglichkeit der Technik. „Die Anlage wird falsch betrieben und schlecht gewartet“, kritisiert er. So stünden die grünen Pfosten in dichtem Gestrüpp, die Reflektoren leuchteten entsprechend in eine grüne Wand und könnten das Wild deshalb gar nicht irritieren.

Dabei funktionieren sie theoretisch auch am Tag. Werden sie ausgelöst, senden sie Pieptöne und Lichtreflexe aus. Damit vor allem letzteres wirkt, müsste das Gestrüpp am Waldrand bis auf 15 oder 20 Meter in den Wald hinein beseitigt werden, meint Mitsching. „Dann leuchtet es auch weit genug rein. Zugleich bekommen die Solarzellen dann genug Sonnenlicht ab.“

Der Kreisjägermeister befürchtet nun, dass die Anlage aufgrund der Zahlen nach der Testphase schnell wieder weg kommt. „Dabei würde sie helfen, wenn man sie nur vernünftig einsetzt.“ Mitsching selbst und seine Jägerschaft haben nach eigenen Angaben lange für diese Wildwarner gekämpft.

Das Verkehrsministerium hat auf seine Kritik zumindest schon einmal reagiert. „Aufgrund der Hinweise des Kreisjägermeisters werden die Wildwarner jetzt von den Kollegen unserer Straßenmeisterei freigeschnitten“, verspricht Andreas Tempelhof auf Nachfrage.