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Neue Alben "Americana" von Jason Isbell und No Sugar, No Cream

Gute "Americana"-Musik kommt üblicherweise aus Amerika - aber eben nicht zwangsläufig: Neue Alben des Grammy-prämierten US-Rootsrockers Jason Isbell - und von der deutschen Band No Sugar, No Cream.

Von Werner Herpell, dpa 22.05.2020, 11:07

Berlin (dpa) - Der Genre-Begriff "Americana" steht für einen an Folk, Blues und Country orientierten Musikstil, verwandt damit sind Rootsrock und Alternative Country: Unter diese Definition fallen im Frühjahr mehrere neue Alben, von denen einige - na klar! - aus den Amerika stammen; eines aber - Überraschung! - aus Süddeutschland.

Rootsrock-Star und Grammy-Gewinner: Jason Isbell

Vor allem in den USA ist JASON ISBELL, der mittlerweile 41 Jahre alte Sänger und Gitarrist aus Alabama, eine große Nummer: Isbells Studioplatten "Something More Than Free" (2015) und "The Nashville Sound" (2017) erreichten dort die Top Ten der Charts und wurden jeweils mit einem Grammy als "Best Americana Album"  ausgezeichnet. "Reunions" (Southeastern/Thirty Tigers/Alive) könnte diesen Erfolgsweg nun fortsetzen - so perfekt durchgestylt und "süffig" klingen auch diese neuen Lieder.

Mit seiner Band The 400 Unit, in der Ehefrau Amanda Shires Fiddle spielt und im Hintergrund singt, hat dieser früher zu Exzessen neigende Songwriter seine optimale Begleit-Combo gefunden. Die zehn Stücke sind mal kerniger Folkrock mit epischen Gitarrensoli ("Overseas"), mal klassischer Countrypop ("River"), mal Tränenzieher im zeitgemäßen Nashville-Stil ("Letting You Go", ein melancholisches Abschiedslied für die eigene Tochter).

Manches erinnert an die Avett Brothers oder Ryan Adams, auch ältere Vorbilder wie Bruce "The Boss" Springsteen, Mark Knopfler und David Crosby (der teilweise Background-Vocals beisteuerte) sind herauszuhören. Isbell - vor 15 Jahren bei der famosen Southern-Rock-Truppe Drive-By Truckers gestartet - singt mit seiner hellen, nicht allzu markanten Stimme Balladen und Hymnen über Kindheit und Jugend, Beziehungen und Elternschaft, auch über seine einstige Alkoholsucht.

Hier bestätigt sich, was schon die Vorgängerwerke andeuteten: Jason Isbell ist längst ein glücklicher Mann, der dennoch weiterhin Songs schreiben kann, die mehr sind als Gesäusel. "Reunions" ist ein sehr feines, musikalisch manchmal etwas zu konventionelles Americana-Album.

Und (kleiner Spoiler): Was Isbells Kollegen THE JAYHAWKS im Juli mit dem gerade angekündigten Album "XOXO" sowie Folkrock-Veteran CHUCK PROPHET im August mit "The Land That Time Forgot" abliefern, ist nach erstem Eindruck eher noch besser. Wirklich gute Zeiten für Americana-Fans also.

Roadmovies aus dem Badischen: No Sugar, No Cream

Vom Namen dieser regionalen Band mit internationalem Sound sollte man sich nicht täuschen lassen. NO SUGAR, NO CREAM: also kein Zucker, keine Sahne - das suggeriert arg kalorienarme Musik. Doch "Promises" (Eigenvertrieb), das Ende April erschienene vierte Album der Karlsruher, ist eine unter anderem mit Geige und Mandoline (Heike Wendelin) prächtig ausstaffierte Platte. Sein Americana-Etikett hat sich dieses Quintett aus dem Südwesten Deutschlands seit dem Start 2012 mehr als verdient.

Vom dramatischen Gitarrenrocker "This House Is On Fire" über den Midtempo-Folksong "Stranger (In A Strange Place)" und das vergnügte Gefiedel in "Marlowe's Investigation" bis zur zarten Ballade "Not Available": Die zwölf neuen NSNC-Lieder hüllen den Hörer ein wie eine warme Decke. Der Bass von Andreas "AJ" Jüttner und die Drums von Frank Schäffner bilden den versiert-soliden Unterbau der rootsrockigen, aber nie biederen Arrangements. Obendrauf setzen No Sugar, No Cream elektrische und akustische Gitarren von Oliver Grauer und Frontmann Pete Jay Funk.

Funks teilweise sehr persönlichen, auch mal wehmütigen englischen Texte und seine sympathische Storyteller-Stimme verstärken den Eindruck, es hier mit drei- bis vierminütigen Roadmovies - durch welche Landschaft auch immer - zu tun zu haben. Die Harmony-Vocals mit Heike Wendelin sitzen punktgenau und erinnern gelegentlich an die bereits erwähnten Jayhawks

Apropos bekannte Namen: Live spielt bei No Sugar, No Cream häufig der nahe Karlsruhe lebende US-Keyboarder Chris Cacavas (59) mit. Der war vor 40 Jahren Mitgründer der Psychedelic-Folkrock-Band Green On Red, die auch hierzulande viele Rootsrock-begeisterte Musiker beeinflusste. Hier schließt sich ein amerikanisch-deutscher Kreis.

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No Sugar, No Cream

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dpa