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Cover-Album Feier der Vergangenheit: Morrisseys "California Son"

Das letzte Album liegt nicht einmal zwei Jahre zurück. Man mag es Morrissey nachsehen, dass er nach so kurzer Zeit nicht mit einem Packen neuer Eigenkompositionen daherkommt.

Von Oliver Beckhoff, dpa 24.05.2019, 07:35

Berlin (dpa) - Manche Ankündigungen lesen sich ein bisschen wie Drohungen. Das gilt etwa für die Label-Ankündigung, Morrissey sei zurück. Selbstverständlich: Für Morrisseys Musik gilt das nicht.

Auf diesem Gebiet war in der Vergangenheit im Grunde alles stets zu begrüßen, was er als Frontmann der Smiths oder anschließend als Solokünstler fabrizierte. Anders verhält es sich mit seinen Kommentaren zum Zeitgeschehen.

Denn was der umtriebige Musiker, der am 22. Mai 60. Geburtstag feierte, zuletzt etwa zum Brexit, zu Rassismus oder zur MeToo-Debatte zu sagen hatte, war stets ein wenig abseitig. Ging es um sein Leib- und Magenthema, die Tierrechte, schreckte der 59-Jährige nicht einmal vor Vergleichen von Schlachthöfen mit Vernichtungslagern der Nazis zurück.

Da ist es vielleicht gar kein so großes Unglück, dass Morrissey auf "California Son" auf eigene Einlassungen verzichtet. Denn es handelt sich um ein Cover-Album. Morrissey gräbt darauf Kleinode der 60er und 70er Jahre aus - und birgt ein paar fast vergessene Schätze.

Das gilt etwa für Jobriaths "Morning Starship". Dass der Anfang der 1980er Jahre vereinsamt an Aids gestorbene Jobriath, bürgerlich Bruce Wayne Campbell, überhaupt noch einigen ein Begriff ist, ist auch Morrissey zu verdanken, der ihn bereits auf früheren Alben musikalisch wieder zum Leben erweckt hatte.

Obwohl sie nah am Original bleibt, fehlt Morrisseys Interpretation das Brüchige, das Zerbrechliche, das die weniger rockige Instrumentierung Jobriaths und dessen zugleich schneidige und irgendwie verletzlich klingende Stimme transportieren. Morrisseys Stück fehlt - ausgerechnet, muss man sagen, denn Melancholie liegt ihm eigentlich - die Melancholie. Das Jobriath-Cover klingt eher breitbeinig, hymnisch, ja feierlich.

Ein Eindruck, der sich verfestigt - etwa bei Joni Mitchells "Don't Interrupt The Sorrow". Morrissey variiert die Vorlage kaum, was die musikalischen Motive angeht. Dafür setzt er auf eine üppigere Instrumentierung und eine "fette" Produktion: Effekte und Saxofon-Soli, wo Mitchell sparsamen Country-Sound bevorzugte.

Die Songs in ihren Ursprungsfassungen tragen Geschichte mit sich: den Klang einer vergangenen Zeit und analoger Produktionsmethoden. Manche, etwa Bob Dylans "Only A Pawn In Their Game" über die Ermordung eines Bürgerrechtsaktivisten, sind zutiefst politisch.

Bei so viel Bedeutungsschwere kann ein Cover kaum mehr als eine Hommage sein. Das Hymnische an Morrisseys Stimme transportiert das an vielen Stellen. Hier wird gefeiert, was war. Hier wird applaudiert, vielleicht versucht, etwas "draufzupacken": noch ein Instrument und noch eins. Doch ein bisschen bleibt unklar, was das alles soll.

Klar: Morrissey-Fans werden ihre Freude an der charakteristischen Stimme haben. Und an dem Schmachtend-Balladenhaften, das sie vielen Stücken verleiht, zusammen mit der bisweilen orchestral aufgepeppten Instrumentierung und der üppigen Produktion der entstehenden Klangteppiche.

Doch der Sänger befreit die Stücke so von ihrem historischen Ballast, vom organischen Sound der analogen Produktion und vom Aufbruchsgefühl der Zeit, in der sie geschrieben wurden. Ein bisschen weniger von allem hätte dem Album gutgetan. Das Verdienst von "California Son" könnte es aber sein, dass man motiviert wird, die Originale wiederzuentdecken. Ihre Macher hatten etwas zu erzählen.

Website Morrissey