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Arzneireport: Millionenfach zu teure Pillen

27.05.2014, 11:28
Laut dem neuen Arzneimittelreport könnten Krankenkassen bei Medikamenten ohne Einbußen für Patienten viel sparen. Foto: Armin Weigel/Illustration
Laut dem neuen Arzneimittelreport könnten Krankenkassen bei Medikamenten ohne Einbußen für Patienten viel sparen. Foto: Armin Weigel/Illustration dpa

Berlin - Ist Neues immer gut? Viele Ärzte scheinen bei Angeboten der Pharmaindustrie dieser Meinung zu sein. Kritiker meinen: Das birgt nicht nur für den Geldbeutel der Beitragszahler Risiken - sondern auch für die Sicherheit der Patienten.

Patienten in Deutschland bekommen laut einem neuen Arzneimittelreport millionenfach unnötig teure Medikamente. Dabei haben nach Ansicht der Autoren günstigere Alternativen oft weniger Risiken. Nötig sei ein neues Gesetz, so dass neue Mittel erst auf dem Markt zugelassen werden, wenn ihr Nutzen offiziell bewertet ist. Das forderte der Vizechef der Krankenkasse Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, bei der Vorstellung der Studie am Dienstag in Berlin.

Der Bremer Versorgungsforscher Gerd Glaeske, der den Report im Auftrag der Kasse geschrieben hatte, kritisierte, die 30 umsatzstärksten Arzneimittel seien schon länger auf dem Markt befindliche Präparate, deren Nutzen nicht streng genug überprüft worden sei.

Schwarz-Rot hatte die nachträgliche Überprüfung dieser millionenfach verordneten Mittel gestrichen, auch weil eine Klagewelle der Pharmaindustrie drohte. Nur neue Mittel werden noch einer offiziellen Nutzenbewertung mit dem Ziel unterzogen, dass nur Arznei mit wirklichem Mehrwert auch mehr kosten darf.

Allerdings seien die Einsparungen von etwa 180 Millionen Euro durch diese Prüfungen angesichts von Arzneimittelausgaben von gut 32 Milliarden Euro 2013 zu gering, so Schlenker. Im ersten Quartal seien die Arzneiausgaben um fast zehn Prozent gestiegen, kritisierte Schlenker.

Laut Glaeske sind unter den am besten verkauften auch Mittel, bei denen sämtliche Anzeichen dafür sprechen, dass sie nicht besser sind als ältere, günstigere Präparate. Dazu zählte er Mittel gegen Multiple Sklerose. Er kritisierte auch den starken Anstieg der Verordnungen des Mittel gegen Blutgerinnung Xarelto - obwohl die Risiken hoch seien. So sei der Umsatz für das Medikaments mit dem Wirkstoff Rivaroxaban innerhalb eines Jahres um rund 200 Prozent auf rund 280 Millionen Euro gestiegen. "Die Todesfälle nehmen zu."

Dazu erklärte der Hersteller Bayer, es sei irreführend, dass neue Gerinnungshemmer problematisch seien. Xarelto habe in klinischen Studien bewiesen, dass es Patienten mit einem Risiko für folgenschwere Blutgerinnsel "einen wirksamen und verträglichen Schutz" biete.

Weiuter mahnte Glaeske, auch viel verordnete Magenmittel zur Unterdrückung der Bildung von Magensäure seien nicht ohne Risiko. Dabei werde der Magenschutz immer mehr zum Standard für nahezu alle Klinikpatienten, die mehrere Medikamente gegen andere Krankheiten gleichzeitig bekommen.

Strengere Regeln und mehr Zurückhaltung der Ärzte bei neuen Mitteln könnten den Krankenkassen laut Schlenker und Glaeske Einsparungen in Milliardenhöhe bringen - ohne Nachteil für die Patienten. Ein Fünftel bis ein Drittel der Arzneiausgaben entfielen auf Pillen, die nur scheinbar besser seien. Bis zu vier Milliarden könne gespart werden, wenn Ärzte mehr Nachahmerprodukte (Generika) für Mittel verschrieben, deren Patentschutz abgelaufen ist. Ärzte in Ostdeutschland griffen besonders gern zu neuen Mitteln.

Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) kritisierte die Forderungen. "Die Krankenkassen wenden schon heute nur rund sieben Prozent ihrer Ausgaben für patentgeschützte Medikamente auf", sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer der Nachrichtenagentur dpa. Die Autoren des Arzneimittelreports müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, "die gute Patientenversorgung und die Forschung für neue Medikamente aufs Spiel zu setzen". Dürften neue Medikamente künftig erst nach Abschluss der Nutzenbewertung verkauft werden, müssten Patienten zudem weit länger als heute darauf warten.