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Massaker von Srebrenica 1995 Niederlande für 300 Tote verantwortlich

Im Verfahren um das Massaker von Srebrenica hat ein Gericht in Den Haag
den niederländischen Staat für den Tod von mehr als 300 muslimischen
Männern und Jungen zivilrechtlich haftbar gemacht.

17.07.2014, 01:18

Den Haag (AFP) l Der Staat trage Mitschuld an ihrer Ermordung, da niederländische Blauhelm-Soldaten ein Schutzlager den bosnisch-serbischen Milizen überlassen hätten, urteilte Richterin Larissa Elwin am Mittwoch. Das Urteil könnte weitreichende Folgen für künftige UN-Missionen haben.

Geklagt vor der niederländischen Justiz hatte die Vereinigung "Mütter von Srebrenica", in der Tausende Angehörige von Opfern des Massakers im Bosnien-Krieg zusammengeschlossen sind. 1995 waren in der Kleinstadt Srebrenica binnen weniger Tage fast 8000 muslimische Männer und Jungen von bosnisch-serbischen Milizen umgebracht worden. Das Massaker gilt als folgenschwerstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und wurde als Völkermord eingestuft.

UN-Truppe verließ Posten

Als die Milizen am Nachmittag des 13. Juli 1995 in das Lager einrückten, leistete die schlecht ausgerüstete niederländische UN-Truppe Dutchbat keinen Widerstand. Einem UN-Bericht zufolge überließ sie alle Beobachtungsposten und Sperranlagen widerstandslos den bosnischen Serben unter Führung von General Ratko Mladic, der sich zurzeit vor dem Haager UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermords sowie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss.

Der niederländische Staat weist jegliche Verantwortung für das Massaker von Srebrenica zurück - unter anderem, weil seine Soldaten unter UN-Führung standen. Sie hatten ursprünglich etwa 5000 Flüchtlinge in ihr Lager aufgenommen, die allermeisten davon Frauen.

Dass weitere Schutzsuchende später abgewiesen wurden, sei aufgrund der sanitären Bedingungen im Lager zwar "angemessen" gewesen, urteilte Elwin. Da vor jenem verhängnisvollen 13. Juli allerdings schon etliche Muslime getötet worden waren, hätten die Soldaten vor der Aufgabe ihres Stützpunkts das Risiko eines Massakers "in Erwägung ziehen müssen" - weil sie stattdessen aber "bei der Deportation dieser Männer kooperierten, verstießen sie gegen geltendes Recht".

Aus Sicht der Richterin wären die Opfer höchstwahrscheinlich "noch am Leben, wenn Dutchbat ihnen den Verbleib im Lager erlaubt hätte". Für die Tötung Tausender anderer Muslime durch den Fall der Enklave Srebrenica könnten die Soldaten hingegen nicht verantwortlich gemacht werden. Auf diesen entlastenden Punkt hob auch das niederländische Verteidigungsministerium in einer ersten Reaktion auf das Urteil ab, das noch nicht rechtskräftig ist.

Brisante Rechtslage

Die niederländische Justiz hatte schon im vergangenen September den Staat haftbar gemacht für den Tod von drei Männern in Srebrenica. Das Kassationsgericht in Den Haag bestätigte damals ein früheres Urteil, wonach die Blauhelme die Männer nicht den Serben hätten ausliefern dürfen. Die niederländische Regierung versprach den Angehörigen daraufhin jeweils 20.000 Euro Entschädigung.

Zusammen mit dem Urteil vom Mittwoch ergibt sich daraus möglicherweise eine brisante Rechtslage: Selbst wenn einzelne Soldaten aufgrund des UN-Mandats Immunität genießen, kann der Heimatstaat demnach als Verantwortlicher für ihre Taten herangezogen werden. Inwiefern diese Interpretation Konsequenzen für andere UN-Einsätze hat, bleibt nun abzuwarten.

Munira Subasic, eine der Mütter von Srebrenica, begrüßte das Urteil am Mittwoch, erinnerte aber auch an das Schicksal der an den UN-Lagergrenzen zurückgewiesenen Flüchtlinge: "Wie soll man einer Mutter erklären, dass die Niederländer für den Tod ihres Sohns auf der einen Zaunseite verantwortlich sind, nicht aber für den ermordeten Sohn auf der anderen Seite des Zauns?"