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Absatzrückgänge durch neue Märkte ausgleichen Exporte: Die Wirtschaft trotzt der Russlandkrise

Der Krieg in der Ukraine und die Russland-Krise treffen vereinzelte
Unternehmen in Sachsen-Anhalt hart. Millionenschwere Aufträge sind
geplatzt, der Abbau von Arbeitsplätzen droht. Die meisten Firmen haben
sich aber längst Geschäftspartner in anderen Ländern gesucht.

04.02.2015, 01:27

Magdeburg l Andreas Mössner hat einen Papierstapel mit Geschäftszahlen vor sich auf dem Tisch liegen und blättert darin. Dann blickt er auf. "Einer unserer wichtigsten Exportmärkte ist erst einmal dicht", sagt der Geschäftsführer des Anlagenbauers Laempe und Mössner. "Die Russland-Krise wirft uns in unserem Wachstum um drei Jahre zurück."

Das Familienunternehmen mit Sitz in Meitzendorf bei Magdeburg baut Maschinen, die in Gießereien auf der ganzen Welt zum Einsatz kommen. Die Exportquote ist hoch: Mehr als acht von zehn Maschinen gehen ins Ausland. Neben Russland zählten zuletzt China, die USA und der Euroraum zu den wichtigsten Märkten. In den vergangenen Jahren ging es für das Unternehmen stets bergauf, 2014 lag der Umsatz bei ca. 65 Millionen Euro, die Zahl der festangestellten Mitarbeiter bei etwa 300. Nun der Rückschlag.

70 Leiharbeiter müssen gehen

"Es sind derzeit Aufträge im zweistelligen Millionenbereich in Russland in der Schwebe", berichtet Mössner. Genaue Zahlen will er nicht nennen.

Gestoppt sind die Geschäfte, weil die russischen Banken wegen der Sanktionen Finanzgeschäfte mit dem Westen nicht mehr abwickeln können. "Und durch den Rubel-Verfall werden unsere Maschinen für russische Kunden immer teurer." Mössner kann viele Leiharbeiter nun vorerst nicht weiter beschäftigen. "Ich hatte sie für Auftragsspitzen ins Unternehmen geholt, doch aktuell gibt es nicht mehr genug Arbeit", erklärt er. Die 300 Festangestellten müssen jedoch nicht um ihre Arbeitsplätze bangen. "Wir werden uns eben auf andere Märkte konzentrieren", sagt Mössner.

Zuletzt habe das US-Geschäft angezogen und für Entspannung sorgt auch ein kurzfristig hinzugekommener Auftrag aus China. "Glücklicherweise konnten wir diesen Montag ein Großprojekt im hohen einstelligen Millionenbereich an Land ziehen."

Die Entwicklung der Geschäfte des Unternehmens ist beispielhaft für die Exportwirtschaft Sachsen-Anhalts. Zwar sind Ausfuhren nach Russland eingebrochen. 2014 wurden nur noch Waren im Wert von 316 Millionen Euro dorthin exportiert, knapp 13 Prozent weniger als 2013. Und auch die Ausfuhren in die Ukraine gingen um 34 Prozent auf 171 Millionen Euro zurück. Doch andererseits sind die Exporte in andere Märkte gewachsen. Für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist der EU-Binnenmarkt, angeführt von Polen. Hier verzeichnen die Firmen stetige Exportzuwächse. Außerdem sind die Ausfuhren in die USA und Japan stark gestiegen. Und nicht zuletzt wächst die Nachfrage nach Produkten aus Sachsen-Anhalt auch in Ländern im Nahen Osten. So hat die Russlandkrise zwar im Einzelfall Auswirkungen, die Wirtschaft insgesamt aber gerät nicht in Turbulenzen.

Aufbruchstimmung im Iran lockt Firmen an

Ein kleineres Unternehmen, das zuvor auch in Russland und in der Ukraine aktiv war, hat seine Exportgeschäfte bereits auf ein anderes Land ausgerichtet. "80 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit Projekten im Iran", erzählt der Geschäftsführer. Die Anlagen, die sein Ingenieur-Büro entwirft, unterliegen zwar nicht den Wirtschafts-Sanktionen und haben keinen militärischen Nutzen. Trotzdem möchte der Firmen-Chef nicht namentlich genannt werden.

Der Iran mit seiner Zivilgesellschaft sei sehr faszinierend, betont er. "Die Menschen vermeiden zwar politische Äußerungen, sie sind aber sonst sehr herzlich und gastfreundlich - es ist ein bisschen wie damals in der DDR." Lukrativ ist der Iran für das Ingenieur-Büro nach der Präsidentschaftswahl 2013 geworden. "Seit der umstrittene Präsident Mahmud Ahmadinedschad von Hassan Rohani abgelöst wurde, herrscht dort eine regelrechte Aufbruchstimmung", erzählt der Geschäftsführer. Geld für Investitionen sei vorhanden, doch viele ausländische Firmen würden vor Geschäften mit den Iranern noch zurückschrecken.

Ein Problem sei die Finanzierung von Aufträgen. "Deutsche Banken nehmen keine Gelder von Kunden aus dem Iran an, weil sie sehr gute Beziehungen zu den USA haben und diese nicht gefährden wollen", erklärt der Unternehmer. "Ich muss daher entweder mit Banken zusammenarbeiten, die in den USA nicht aktiv sind, oder ich muss mir Kooperationspartner in anderen Ländern suchen." Zuletzt habe er einen Auftrag über eine Sparkasse finanzieren können. Bei einem weiteren Auftrag überwiesen die Iraner das Geld erst an einen Kooperationspartner in der Türkei, der wiederum das Geld dann an das deutsche Ingenieur-Büro weiterleitete.

Auch wenn die Geschäfte mit dem Iran kompliziert sein mögen "und die Iraner wie auf einem Basar um Geldsummen feilschen" - die Projekte im Nahen Osten seien immer noch lukrativer als Aufträge in Deutschland. "Hier wird zu wenig investiert. Und wenn doch mal jemand einen Auftrag ausschreibt, dann sind wir nur einer von 30 Bewerbern - das lohnt sich nicht für uns", sagt der Unternehmer.

Er ist nicht der einzige, der den Iran als Markt entdeckt hat. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von 37 Millionen Euro dorthin exportiert, ein Zuwachs von 156 Prozent. "Der Iran gehört wie Saudi-Arabien zu den Ländern, in denen viel Geld vorhanden ist und großes Interesse an allen möglichen Gütern aus dem Ausland besteht", erklärt Andreas Müller, Außenhandels-Experte der Industrie- und Handelskammer Magdeburg. "Für Unternehmen aus Sachsen-Anhalt ist das eine Chance."

Bundesbehörde wegen Russlandkrise überlastet

Und die möchte auch Gunnar Hennings nutzen. Der Geschäftsführer der HMP Magdeburger Prüfgerätebau GmbH erwirtschaftet 40 Prozent seines Umsatzes mit Hilfe von Exporten. Im Werk in Magdeburg entwickelt und produziert die Firma mit 14 Angestellten Messgeräte, die unter anderem beim Bau von Straßen und Schienentrassen zum Einsatz kommen. "Mit den Geräten kann gemessen werden, ob der Untergrund, auf dem später Schienen verlegt werden, so verdichtet wurde, dass er die Lasten auch tragen kann. Mit dieser Qualitätssicherung wird eine lange Haltbarkeit der Investitionen gewährleistet", erklärt Hennings.

Für die Messgeräte gibt es in vielen Ländern Bedarf. "Jedes Land, das seine Wirtschaft entwickeln möchte, braucht eine funktionierende Infrastruktur mit Straßen und Schienen", erläutert Hennings. Die HMP GmbH hat bereits Kunden in über 90 Ländern weltweit beliefert. Die Erschließung neuer Märkte gehöre mittlerweile zum Tagesgeschäft.

"Im November 2014 hatten wir einen Bedarfsfall im Iran, aber das Geschäft ist nicht zustande gekommen", erzählt Hennings. "Auf Grund der Sanktionen muss die Ausfuhr beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle beantragt werden. Leider haben wir bis heute keine Rückmeldung erhalten", klagt der Unternehmer. Er vermutet, dass die Behörde derzeit schlicht überlastet ist, weil wegen der Russland-Sanktionen generell viel mehr Ausfuhren geprüft werden müssen. "Irgendwann rief mich der Iraner dann an, um mir mitzuteilen, dass er nicht mehr länger auf die Lieferung warten kann."

Als Markt kommt für Hennings aber auch Indien infrage. "Die indischen Metropolen ersticken im Verkehrschaos", erzählt er. "Die Züge fahren dort überwiegend noch auf Schienen, die zu Kolonialzeiten von Engländern verlegt wurden." Da das Land seine Infrastruktur dringend erneuern muss, arbeiten die Magdeburger intensiv daran, dass ihre Geräte auf den Baustellen auch dort bald zum Standard gehören.

Vielerorts auf der Welt gefragt sind auch die Wasserpumpen der Oddesse Pumpen- und Motorenfabrik GmbH in Oschersleben. "Wir machen im Jahr 13 Millionen Euro Umsatz, etwa die Hälfte davon erwirtschaften wir mit Exporten", erzählt Geschäftsführer Thomas Schmidt. Die Russlandkrise bekommt Oddesse indirekt zu spüren. "Wir beliefern Bergbau-Unternehmen in Kasachstan mit Wasserpumpen", erklärt Schmidt. Die Pumpen werden in Minen eingesetzt, um Grundwasser abzuführen oder um die Wasserversorgung sicherzustellen. "Der russische Rubel hat nun die kasachische Währung Tenge mit heruntergezogen, deshalb werden unsere Pumpen für kasachische Kunden immer teurer."

Pumpen-Hersteller leidet unter sinkendem Ölpreis

Trotzdem leidet Oddesse noch nicht unter massiven Auftragsrückgängen. "Unsere Pumpen sind so speziell, dass unsere Kunden nicht ohne weiteres auf sie verzichten wollen", so Schmidt. Das sei auch das Erfolgsrezept des Unternehmens. Stärker als die Russlandkrise wirkt sich der Verfall des Ölpreises auf Oddesse aus. "Unsere Wasserpumpen kommen auch in der Ölindustrie, etwa bei Förderplattformen, zum Einsatz. Doch die Ölkonzerne reduzieren ihre Investitionen, wenn der Ölpreis unter 65 Dollar für das Barrel fällt."

Die 119 Beschäftigten bei Oddesse müssen jedoch nicht um ihre Jobs bangen. "Nach Jahren des Wachstums wird unser Umsatz in diesem Jahr wohl stagnieren, aber nicht schrumpfen", sagt Schmidt. Zumal die Geschäfte im Nahen Osten für die Firma weiterhin gut laufen. "Wir liefern Pumpen für die Wasserversorgung der Städte in Saudi-Arabien", erzählt der Geschäftsführer. Seit 13 Jahren besucht er die Wüstenregionen. "Viele Städte dort sind extrem gewachsen. Da ist es schon eine große Herausforderung, die Versorgung mit Wasser sicherzustellen."

Unternehmen wie Oddesse zeigen, dass einzelne Krisen durchaus zu verkraften sind, wenn die Produkte auch auf anderen Märkten abgesetzt werden können. Doch kaum einer würde dauerhaft auf den russischen Markt verzichten wollen. Das aber droht, denn je länger die Krise andauert, desto eher suchen sich auch die Russen andere Geschäftspartner.