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Trauernde Angehörige "Ungewissheit ist das größte Problem"

26.03.2015, 04:35

Maggie Schauer ist Leiterin des Kompetenzzentrums Psychotraumatologie der Universität Konstanz. Im dpa-Interview erklärt die Expertin, wie wichtig erfolgreiche Trauerarbeit ist.

Wenn ein Kind vor den Eltern stirbt, können diese wieder glücklich werden?
Maggie Schauer: Das nennt man Generationenumkehr, eine der schrecklichsten Tatsachen überhaupt für Menschen. Wir binden uns stark an unsere Kinder. Die meisten Eltern sagen, das Leben des Kindes ist mir wichtiger als meines. Sie hoffen, der Schmerz sei kleiner, wenn sie sich wehren anzuerkennen, was geschehen ist. Diese Menschen gehen auch nicht in Behandlung. Sie fürchten, Psychologen verlangen, die Verbindung zum Toten zu kappen. Sie glauben, sie dürfen sich nicht gesundkurieren lassen. Es ist die Angst zu vergessen, wie das Kind gerochen hat, nicht mehr zu hören, wie es gelacht hat. Das ist sehr verständlich und braucht viel Zeit.

Was ist Trauer?
Trauern ist ein ganz paradoxer Prozess. Zum einen müssen sie die Bindung lösen von dem Toten. Sie müssen sich eingestehen: Der Mensch wird nicht wiederkommen. Gleichzeitig möchte ich diesen Toten in mir behalten - vielleicht ein Leben lang. Diese zwei Seiten sollte man unterstützen. Erstens also einen Abschluss schaffen durch Rituale, zum anderen eine Form finden, in Beziehung mit dem Verstorbenen zu bleiben. Wenn eine der zwei Seiten nicht klappt, dann kann das in einer ungesunden, verlängerten Trauer enden.

Welche Strategien können helfen, einen Verlust zu überwinden?
Man muss versuchen, mit dem Toten in Beziehung zu bleiben. Etwa jeden Morgen eine Kerze anzünden. Auch positivere Formulierungen helfen wie: "Meinem Kind kann nun nie wieder etwas passieren." Und trotzdem anzuerkennen, dass es vorbei ist. Je mehr Rituale sie haben, desto kleiner ist die Angst, den Toten zu vergessen. Das hilft einem zu sagen: "Ich darf weitermachen mit meinem Leben."

Warum ist es für Angehörige entscheidend, die Ursache für das Unglück zu kennen?
Man weiß eigentlich aus vielen Studien, dass das Nicht-zu-Wissen die größte Problematik im Laufe der Jahre ist - weil die Menschen nicht abschließen können, weil kein gesunder Trauerprozess anfangen kann. Sie warten noch und wissen nicht und hoffen noch und möchten noch herausfinden, was da wirklich gelaufen ist.

Braucht erfolgreiche Trauer eine Beerdigung?
Ich würde lieber sagen, Trauer braucht Symbolik und Gemeinschaft. Ich möchte die Überlebenden, die mir wichtig sind, um mich haben und brauche dazu ein Ritual wie eine Beerdigung. Meistens brauchen wir einen Ort, wo wir eine Kerze anzünden, in Gedanken Verbindung mit dem Verstorbenen schaffen können. (dpa)