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Forschungsflüge in die Schwerelosigkeit Vom Kanzler-Flieger zum "Kotzbomber"

Fast ein Vierteljahrhundert lang wurde die alte "Konrad Adenauer" als Regierungsflieger genutzt. Jetzt kommt die Kanzlermaschine in den Dienst der Wissenschaft. Und einen neuen Namen kriegt sie auch.

Von Christoph Sator und Sebastian Kunigkeit 28.04.2015, 01:29

Bordeaux (dpa) l Die Maschine war schon ziemlich überall. Mit Helmut Kohl in Moskau, mit Gerhard Schröder in Peking, mit Angela Merkel in Washington. Als "Konrad Adenauer" gehörte der Airbus A310 - Baujahr 1989 und zu Beginn noch in Diensten der DDR-Linie Interflug - über viele Jahre hinweg zur Flugbereitschaft der Bundeswehr. Kanzlermaschine werden solche Flugzeuge genannt, obwohl auch die Bundespräsidenten damit im Ausland unterwegs sind. Und viel häufiger noch die Außenminister.

Jetzt allerdings, vier Jahre nach der Ausmusterung aus Altersgründen, bekommt die Maschine einen anderen Namen. Künftig ist sie als "A310 Zero G" zu sogenannten Parabelflügen im Einsatz. Dabei wird durch achterbahnartige Manöver nahezu Schwerelosigkeit erzeugt, auch wenn das dann jeweils nur 22 Sekunden dauert. In der Fliegersprache gibt es für solche Maschinen allerdings auch einen anderen Namen: "Kotzbomber". Man muss das nicht unbedingt näher erläutern.

Seit gestrigem Montag nutzt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die alte "Adenauer" für die neuen Zwecke. Der erste Forschungsflug ist für den 5. Mai geplant.

Die Maschine steht heute in Bordeaux und gehört der französischen Firma Novespace, die für Europas Raumfahrtbehörden Parabelflüge betreibt. 2,5 Millionen Euro bekam der Bund noch dafür - keineswegs zu viel für ein Flugzeug, das als Muster an Zuverlässigkeit galt.

Für die "Adenauer" sprach, dass sie trotz aller Einsätze im Dienst der Regierung vergleichsweise wenig Starts und Landungen hinter sich hat. Lufthansa-Maschinen im gleichen Alter haben erheblich mehr geleistet. "Beim Starten und Landen ist die Flugzeugstruktur den stärksten Belastungen ausgesetzt", sagt die DLR-Programmmanagerin Ulrike Friedrich. "Die Herausforderung war, ein bezahlbares und dennoch relativ wenig beanspruchtes Flugzeug zu finden."

Für die neue Bestimmung musste der Airbus allerdings kräftig umgebaut werden. Auf der Lufthansa-Werft in Hamburg wurde ein halbes Jahr lang daran gearbeitet. Den VIP-Bereich mit ehemals zwei Schlafzimmern, zwölf Sitzplätzen und Nassbereich - wo ein Boulevard-Journalist zu Zeiten von Helmut Kohl angeblich sogar einmal die Toilettenschüssel vermessen haben soll - gibt es nun überhaupt nicht mehr. Auch die meisten der 22 Business- und 57 Economy-Sitze sind weg.

Neu ist eine "Experimentierzone": etwa hundert Quadratmeter in der Mitte der Maschine, mit Haltegriffen, ohne Fenster, begrenzt von schwarzen Netzen und ausgepolstert mit weißen Matten aus Kunstleder, die gut abwischbar sind. Dort wird jetzt zum Beispiel untersucht, wie Pflanzen ohne Erdanziehungskraft wachsen oder wie sich Staub in der Schwerelosigkeit verhält. Andere Versuche bereiten Experimente für die Internationale Raumstation ISS vor.

Mitflieger versichern übrigens, dass es mit dem Brechreiz gar nicht so schlimm sei, zumal die meisten vorher ein Mittel gegen Reisekrankheit bekommen. Der unschmeichelhafte Spitzname habe für eines der ersten Parabelflugzeuge der Nasa gegolten, erzählt Friedrich - das flog noch 150 Parabeln statt der gut 30, die bei DLR-Flügen üblich sind.

Novespace will die ehemalige "Adenauer" künftig etwa alle zwei Monate zu kontrollierten Sturzflügen in die Luft schicken. In der Regel sind dann Wissenschaftler oder künftige Astronauten an Bord. Für einige tausend Euro können aber auch Privatleute einen Flug buchen.

Und irgendwann ist in der "Zero G" vielleicht auch wieder ein Gast dabei, der die Maschine schon kennt. Der Vorstandsvorsitzende der DLR, Johann-Dietrich Wörner, hat Angela Merkel schon eingeladen, noch einmal mit ihrer alten Maschine zu fliegen. Nicht nach Washington, nicht nach Moskau, sondern in die Schwerelosigkeit.