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Mauer-Dokumentarfilm Striche ohne Schlussstrich

Gerd Kroskes Dokumentarfilm "Striche ziehen" erzählt die Vor- und Nachgeschichte einer Kunstaktion an der Westberliner Mauer 1986. Kroske bringt die Protagonisten von einst vor die Kamera. Der Film um Anpassung, Auflehnung und Verrat läuft im Studiokino Magdeburg.

Von Grit Warnat 16.05.2015, 03:28

Magdeburg l Weimar in den 1980er Jahren. Eine Gruppe Freunde will sich in der Diktatur nicht anpassen. Man färbt sich die Haare mit Autofarbe, besucht Punk-Konzerte der Madmans, geht zum kirchlichen Montagskreis, organisiert heimlich Sprühaktionen. "Macht aus dem Staat Gurkensalat" steht eines morgens an der Hauswand der Architekturhochschule. Dann werden Sprüher verhaftet, monatelang gibt es Knast, dann die Ausreise. Alle landen in West-Berlin und planen 1986 eine gemeinsame Kunstaktion: Sie ziehen mit Farbe los und malen einen weißen Strich über die buntbemalte Westberliner Seite der Mauer. In einem Mauerbereich jedoch, der auf DDR-Gebiet liegt, erwischen DDR-Grenzsoldaten einen der Freunde. Er landet im Stasi-Gefängnis Bautzen.

Die in Magdeburg aufgewachsene und in Berlin lebende Autorin Anne Hahn und der einstige Akteur Frank Willmann haben fast 30 Jahre später die Geschichte aufgearbeitet, dafür Stasiakten gesichtet und dabei einen der Freunde als IM (inoffizieller Mitarbeiter) identifiziert. Anne Hahns Buch "Der weiße Strich" (Chr. Links Verlag) war Ausgangspunkt für Kroskes nachdenklich stimmenden Dokumentarfilm.

Der mehrfach preisgekrönte Berliner Regisseur spricht mit den Protagonisten von einst, blendet persönliche Fotos, Super-8-Filme, Musik aus den 80ern ein und zeigt eine Subkultur fernab des pioniertuch-geprägten, stereotypen Alltags. Er lässt sie zu Wort kommen über ihre Gedanken, ihr Tun, ihre Ausreise, ihre Striche-Aktion, über das schmerzhafte Wissen um den Verrat. Und er hat Jürgen aufgesucht, jenen IM, der seine Freunde und seinen Bruder für etwas Kleingeld verraten hatte. Kroske hat ihn bewegen können, vor der Kamera zu reden, sich der Vergangenheit zu stellen, und er hat ein Treffen der beiden Brüder arrangiert - auch wenn das von Jürgen im Dreh abgebrochen wird. Es gibt keine Versöhnung. Den einstigen Freunden reicht er nicht die Hand. Er wisse um seinen Fehler. "Geh zu den Tätern", sagt er zu Kroske. Der macht das auch und sucht den einstigen Stasi-Kreisdienststellenchef Weimar auf. Man solle ihn in Ruhe lassen, schimpft dessen Frau aus der Gartenlaube.

"Striche ziehen", uraufgeführt 2014 auf der DOK Leipzig und auf der Duisburger Filmwoche mit dem Publikumspreis geehrt, lenkt mit seinen angenehm unaufdringlich gestellten Fragen den Blick auf die großen Themen Schuld und Vergebung. Sensibel begegnen Kroske und Kamerafrau Anne Misselwitz den Porträtierten, auch Jürgen, der trotz seines Verrats nie bloßgestellt wird. Der Besuch einstiger Schauplätze verlangt ihnen einiges ab. Das Erinnern ist aufwühlend - auch für den Zuschauer.