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Kaninchenzucht Vier Frauen für ein Fellelujah

Im Kaninchenzuchtverein Hoym haben die Frauen das Sagen - und erklären, welche Bedeutung die Kleintierzucht als vermeintliche Männerdomäne für das Leben in einer kleinen Vorharzstadt hat.

Von Jörn Wegner 08.07.2015, 03:01

Hoym l Irgendwann muss die Zeit im Rathaus des Seelander Ortsteils Hoym (Salzlandkreis) zum Stillstand gekommen sein. Hinter schweren Türen riecht es nach Altbau: Staub, Linoleumboden, alte Holzdielen. Knarrende ausgetretene Stufen führen in das Dachzimmer. Dort, hinter einer Glastür, verbirgt sich das Reich von Doris Wiedemann, Ines Prippe, Uschi Beyer und Margot Grimm.

Zusammen sind sie die Frauengruppe des Kaninchenzuchtvereins G32 Hoym, Mitglied des Kreisverbands Aschersleben im Landesverband der Kaninchenzüchter Sachsen-Anhalt, Teil des Zentralverbandes Deutscher Rassekaninchenzüchter.

"Früher gab es im Ort noch eine Annahmestelle für die Felle."
Doris Wiedemann, Hoym

"Frauengruppe" - das klingt wie aus der Zeit gefallen: Während sich die Männer mit der Züchtung des perfekten Kaninchens beschäftigen, wird den Frauen der Herd und die Nähmaschine zugewiesen. Das ist natürlich alles ganz anders, sagt Doris Wiedemann. Die Widerlegung des Klischees vom patriarchalen Kaninchenzuchtverein beginnt damit, dass die Rentnerin nicht nur die Frauengruppe leitet, sondern den ganzen Ortsverein der Kaninchenzüchter gleich mit.

Mit ihren drei Vereinskolleginnen sitzt Doris Wiedemann an einem alten runden Tisch unter dem Hoymer Rathausdach. Auf ihm stapeln sich Kaninchenfelle, Stifte, Nähzeug und allerlei Arbeitsmaterial, für den Außenstehenden das pure Chaos. Die Nase juckt unwillkürlich, Kaninchenhaare schweben durch die Luft.

Vor einigen Jahren wurden die Frauengruppen in "Handarbeits- und Kreativgruppen" umbenannt. Im Zentralverband der Kaninchenzüchter wollte man auf den Wandel der Zeit reagieren: Nähen, Basteln und Kochen sollte in Zeiten von Gender Mainstreaming und Queer Theory endlich auch den Männern offen stehen. In der Praxis sind die kurz "HuK" genannten Gruppen allerdings weiterhin Frauengruppen. Zumindest in Sachsen-Anhalt gebe es keine Männer, die organisiert Kissen nähen und Plüschtiere basteln wollen, sagt Doris Wiedemann.

Doris Wiedemann hat kein Problem, weder mit der Existenz von Frauengruppen noch mit bräsigen männlichen Züchterkollegen, die mit autoritären Ansagen Vereine führen wollen. "Ich kann denen ja das Gleiche entgegensetzen", sagt die Vereinsvorsitzende trocken. Ohnehin könne man sich vor allem mit Zuchtergebnissen und Organisationstalent bei Schauen und Versammlungen durchsetzen. "Organisieren konnte sie schon immer", sagt Kollegin Ines Prippe.

Auf eine besonders lange Kaninchentradition kann Doris Wiedemann nicht zurückblicken. In Hoym gab es zwar einen alten Kaninchenzuchtverein, der wurde aber wie so viele 1933 aufgelöst bzw. im Reichsverband deutscher Kaninchenzüchter "gleichgeschaltet". Unter "marxistische Vereine und Organisationen" wurden die Kleintierzuchtvereine von den Nazis bis zu ihren Verboten geführt. Zu unübersichtlich und vielfältig und an vielen Stellen zu sozialdemokratisch und kommunistisch waren die Vereine, in denen das "Schwein des kleinen Mannes" gezüchtet wurde. Den Nazis hingegen schwebte eine Einheitsrasse vor, eine Art Herrenkaninchen, das vor allem Fleisch bringen sollte. Für schlappohrige Widder, Farbenzwerge oder gar Russenkaninchen war da kein Platz.

Einen Kaninchenzuchtverein gab es in Hoym erst wieder in den 1980er Jahren, als noch deutlich mehr Menschen als die heutigen 2500 in der Kleinstadt lebten. Kurz nach der Neugründung ist Doris Wiedemann zu den Züchtern gestoßen. Damals hatte der Zuchtverein vor allem wirtschaftliche Bedeutung.

Die Liebe zum Kaninchen hörte spätestens beim Fleisch und beim Fell auf. Und auch die Trennung zwischen Männern und Frauen war in der DDR verbreitet, nicht jedoch in Hoym, sagt Doris Wiedemann. Hier waren die Frauen schon immer auch Teil der Züchtergruppe, eine gesonderte Organisation brauchten sie nicht.

Die heutige Frauengruppe ist eine Folge des wirtschaftlichen Wandels nach der Wende. Plötzlich war auch für die Kaninchenzüchter alles anders. "Früher gab es hier im Ort noch eine Annahmestelle für Felle. Da hat man zwischen einer Mark und einer Mark fünfzig bekommen und dann noch einen Kleieschein", erzählt die Vereinschefin. Damit konnten die Züchter das Tierfutter besorgen.

Bargeld und Kaninchenfutter - das hat die Vereinsmitglieder beiderlei Geschlechts interessiert. In der DDR waren Kaninchenzüchter gemeinsam mit Kleingärtnern in einem Verband organisiert. Beide Gruppen leisteten ihren Beitrag zur Volkswirtschaft. Die Kleingärtner konnten einen Teil ihrer Ernte für bares Geld abgeben, die Kaninchenzüchter Fleisch und Felle.

Doch mit der Wende kam das billige Fleisch aus der Massentierhaltung, und mit einem Mantel aus Kaninchenfell konnte sich niemand mehr blicken lassen. Die Annahmestellen öffneten eines Tages nicht mehr. Die Kaninchenzüchter versorgten sich zwar noch immer mit Fleisch, wussten aber nicht mehr, wohin mit den Fellen. "Dadurch sind wir dazu gekommen. Dann machen wir halt was aus den Fellen, Puppenkleidung, Kissen, Stricken mit Angorawolle", erzählt Doris Wiedemann. Ihre Produkte bieten die Hoymer Frauen auf Schauen, auf Weihnachtsmärkten und bei anderen Gelegenheiten an.

Zumeist werden die Erzeugnisse in Züchterkreisen verkauft, und auch der Bürgermeister von Hoym hat zum Stadtjubiläum einen Teppich bekommen. Reich werden die Frauen dadurch nicht, im Gegenteil: Eine Plüschmaus für 3,50 Euro decke gerade die Kosten für den Gerber, sagt Doris Wiedemann.

Doch vor dem Kauf steht die Bewertung der Kissen, Plüschtiere, Mützen und Fell-Teppiche. Die ist in der Welt der Kaninchenzucht straff geregelt. Eine Abhandlung aus dem Kaninchenzüchter-Zentralverband gibt einen lebendigen Einblick: "Ein Exponat der Klasse 2c lässt unter der Bezeichnung `3 Kissen` kein Motiv erkennen, verdeutlicht aber mittels des Hinweises `3 Motivkissen: Schmetterlinge` den Bezug zur Natur.

Wenig präzise ist eine Anmeldung für Klasse 4c mit der Formulierung `2 Bilder - Landschaft`, deutlich besser ist die Charakterisierung` 2 Bilder - Waldlichtung im Frühling und im Herbst`." Zucht und Ordnung bleiben die Prinzipien der deutschen Kleintierwelt, auch wenn der Tisch im Dachzimmer des Hoymer Rathauses, überfüllt mit all den Fellen und Arbeitsutensilien, überhaupt nicht zu diesen Tugenden passen mag.

Wer die Regularien des Zuchtverbandes umsetzen möchte, muss Preisrichter werden. Wer die Erzeugnisse der HuK-Gruppen bewerten will, hat es dabei eher schwer als leicht: "Jeder, der Richter werden will, muss auch selbst etwas herstellen", sagt Doris Wiedemann. "Was meinen Sie, wie lustig das ist, wenn Männer das erste Mal nähen. Da lachen Sie sich kaputt. Wenn die eine Nadel in der Hand haben, dann merken die erst, wie schwer das eigentlich ist." Die Damen im Dachzimmer lachen, offenbar sitzt hier die Elite der Kaninchenzucht.

Mit einem Problem haben Frauen- und Züchtergruppe gleichermaßen zu kämpfen: Es fehlt der Nachwuchs. Ines Prippe steht als einzige der Frauen noch im Arbeitsleben, ihre Kolleginnen sind im Rentenalter. "Die Jugend zieht weg. Dann sind sie raus aus dem Verein", sagt sie. "Und wer intensiv Arbeit hat, der hat auch keine Zeit. Kaninchenzucht ist ein bisschen anders, als wenn ich Geflügel habe. Beim Kaninchen muss ich jede Stalltür aufmachen, ich muss sie ständig sauberhalten. Wenn ich meine Kaninchen ausmiste, dann brauche ich einen ganzen Tag", ergänzt Doris Wiedemann.

"Wir wollen Frauen zusammenbringen und Freizeit gestalten."
Doris Wiedemann, Hoym

In Hoym würde etwas fehlen, gäbe es die Frauengruppe eines Tages nicht mehr. Denn wie die Damen zwischen Kaffeetafel und Nähtisch erzählen, ist die Fellverarbeitung nur einer unter vielen Aspekten. "Das Ganze geht dahin, Frauen zusammenzubekommen, gesellig zu sein und Freizeit zu gestalten", sagt Doris Wiedemann. Darin unterscheidet sich die Hoymer Frauengruppe nicht von anderen Vereinen im ländlichen Raum, wo beim Fußball der Zapfhahn im Vereinsheim meist wichtiger als das Spielfeld ist.

Das sei für ältere Menschen besonders wichtig, sagt die Vereinschefin, dass diese nicht in ihrer Wohnung sitzen müssten und langsam vereinsamten. Und so treffen sich die Frauen oft zu Ausflügen, kochen gemeinsam oder gehen einfach nur in das zweite Zimmer unter dem Hoymer Rathausdach, dort, wo eine große Kaffeetafel steht und deutlich weniger Kaninchenhaare durch die Luft fegen.