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Fremdenfeindliche Straftaten nehmen zu Neonazis erobern die Straße

Beleidigungen, Beschimpfungen und Schläge - fremdenfeindliche Straftaten sind seit Jahresanfang massiv gestiegen. Besonders traf es Roma in Halle. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Von Romina Kempt und Matthias Fricke 10.07.2015, 00:59

Magdeburg/Halle l Die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten ist im Land seit Jahresanfang massiv gestiegen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 112 derartige Vorfälle gezählt, wie ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) in Magdeburg sagte. Im Vorjahreszeitraum waren es 76. In erster Linie handelte es sich um Beleidigungen. Körperverletzungen nahmen hingegen ab. Besonders betroffen waren der Burgenlandkreis, Magdeburg und die Börde. In den vergangenen Wochen kam es zudem vermehrt zu Vorfällen in Halle und Bitterfeld-Wolfen.

2014 zählte die Mobile Opferberatung in der Saalestadt insgesamt 18 politisch rechts motivierte Angriffe. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien es dagegen bereits 21 gewesen, sagte ein Sprecher der Anlaufstelle in Halle. Davon richtete sich gut die Hälfte gegen Roma. "Das ist ein relativ neues Phänomen", so der Sprecher.

Vor gut einem Jahr sei eine größere Gruppe Roma in den Stadtteil Silberhöhe gezogen, erläuterte der Sprecher. Dagegen gründete sich zunächst eine selbst ernannte "Bürgerwehr". Später machte eine sogenannte "Brigade Halle" aus der rechten Szene gegen die Zugezogenen massiv mit Demonstrationen und Aufrufen im Internet mobil. Auch Kinder stiegen in die Hetze ein. Im September etwa bespuckten sie eine 26-Jährige aus Rumänien und ihren Sohn.

"Die Hetze hat sich auf die Straße ausgelagert", sagte eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Auch an anderen Brennpunkten wie etwa in Halle-Neustadt habe es in diesem Jahr zahlreiche rassistische Vorfälle gegeben, nicht nur gegen Roma.

Das LKA registrierte etwas weniger Vorfälle, weil es anders als die Opferberatung Geschehnisse, die einen politisch rechts motivierten Hintergrund lediglich nahelegen, nicht hinzuzählt. Danach kam es in der Saalestadt in den ersten sechs Monaten zu zwölf fremdenfeindlichen Straftaten. Im Vorjahreszeitraum war es eine weniger. Die Silberhöhe ist auch aus Sicht der Beamten besonders betroffen gewesen.

Die Gründe für die Anfeindungen sind nach Ansicht der Opferberatung vielschichtig. Zum einen steige in Halle die Zahl der Flüchtlinge. Zum anderen habe rassistisches Gedankengut durch Bewegungen wie Pegida in der breiten Öffentlichkeit eine Plattform bekommen.

Auch in anderen Regionen wie etwa Bitterfeld-Wolfen spitzte sich die Lage vor einigen Wochen zu. Mehrfach wurden Wahlkreis-Büros von Grünen und Linken Ziel von Anschlägen. Ein alternatives Zentrum wurde mit Molotow-Cocktails beworfen. Die Lage habe sich nach vermehrter Polizeipräsenz und Verhaftungen aber wieder entspannt, sagte die Sprecherin der Opferberatung.

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) erklärte: "Wir beobachten die Entwicklung mit Ernsthaftigkeit." Es sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, um das sich alle verstärkt kümmern müssten.

Der Landesverfassungsschutz hat auch in den Sozialen Netzwerken eine Zunahme von verbalen Angriffen durch Rechtsradikale festgestellt. "Der Ton wird schon spürbar schärfer", sagt der Leiter des Verfassungsschutzes Jochen Hollmann.

Gerade die Brigaden Halle und Bitterfeld zeichnen sich vor allem bei Facebook mit hoher Aggressivität aus. "Die Gruppe tritt im Netz schon sehr martialisch und großsprecherisch auf. Da wurden sogar schon klare Morddrohungen ausgesprochen", sagte Hollmann.