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Neue Kommunalverfassung soll mehr Bürgerbeteiligung bringen - doch dafür ist sie zu unausgereift Stahlknechts Gesetz ist nur ein Reförmchen

08.03.2013, 01:17

Gäbe es in Deutschland eine Liga der direkten Demokratie, wäre Sachsen-Anhalt ein Abstiegskandidat. Nur das Saarland ist im Vergleich der Bundesländer von "Mehr Demokratie e.V." schlechter platziert - in allen anderen Ländern können sich Bürger auf kommunaler Ebene besser in politische Prozesse einbringen als hier.

Glücklicherweise gibt es in dieser Liga keinen Absteiger. Und glücklicherweise will Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) dafür sorgen, dass das Land das Tabellenende verlässt. Vergangene Woche hat er einen neuen Gesetzesentwurf präsentiert. Sachsen-Anhalt soll eine der "modernsten Kommunalverfassungen Deutschlands" erhalten und somit zum Spitzenteam werden. Ein guter Anspruch. Aber setzt der Innenminister dabei auch auf die richtige Taktik?

Weniger Unterschriften für ein Bürgerbegehren notwendig

Um in der Tabelle nach oben zu klettern, muss es für Bürger einfacher werden, sich politisch einzubringen. Das hat das Innenministerium richtig erkannt. Künftig soll es leichter sein, ein Bürgerbegehren einzuleiten. Müssen sich dafür derzeit noch 15 Prozent der Einwohner auf einer Unterschriftenliste eintragen, sollen es in Zukunft nur noch zehn Prozent sein. Ein großer Wurf ist das nicht. Denn die Spitzengruppe (Berlin, Hamburg, Bayern, Thüringen) in der Liga der direkten Demokratie hat viel geringere Hürden: Durchschnittlich fünf Prozent braucht es in diesen Ländern für ein Bürgerbegehren. In dieser Vergleichskategorie reicht es für Sachsen-Anhalt also maximal für einen Platz im Mittelfeld.

Doch die Unterschriftenlisten bei Bürgerbegehren sind nicht das Hauptproblem. Zehn Prozent der Bürger für ein wichtiges Anliegen in der Gemeinde zu mobilisieren, kann gelingen. Nur verändert sich dadurch rein gar nichts. Denn auf ein erfolgreiches Bürgerbegehren folgt der Bürgerentscheid. Und an den geht Stahlknecht nicht ran.

Nichtwähler zählen als Nein-Stimmen

Bürgerentscheiden liegen einfache Fragen zu Grunde. Alle Wahlberechtigten werden zur Wahl aufgerufen und stimmen mit Ja oder Nein ab. Das Problem: Die einfache Mehrheit der Stimmen reicht nicht aus, damit der Bürgerentscheid auch gültig ist. Zusätzlich müssen mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten mit Ja stimmen (siehe Beispiele Infokasten). Dass das Innenministerium dieses hohe Quorum nicht senken will, ist ein großer Fehler.

Ulf Gundlach, Staatssekretär im Innenministerium, sieht darin eine Grundsatzfrage: "Ist eine Entscheidung wirklich demokratisch legitimiert, wenn bei einem Bürgerentscheid nur fünfzehn Prozent abstimmen?", sagt er.

Doch die Frage sollte eine andere sein: Ist es gerecht, dass Engagierte durch Nichtwähler bestraft werden? Denn so ist es im gegenwärtigen Quorum-System: Jeder Wahlberechtigte, der nicht abstimmt, zählt de facto als Nein-Stimme. Passivität hat mehr (Stimm-)Gewicht als Engagement. Das ist ein Demokratiekiller.

Das Innenministerium sollte erkennen, dass es auch ein demokratisches Grundrecht ist, sich nicht zu beteiligen - so wie bei Wahlen. Wer nicht abstimmt, hat Pech gehabt und soll sich hinterher bitte auch nicht beschweren. Der Quorum-Ansatz ist nicht nur unlogisch, er beraubt den Bürger auch um Gestaltungsmöglichkeiten. Und zu mehr Bürgerbeteiligung führt er erst recht nicht - im Gegenteil: Nach einer Schlappe durch ein verfehltes Quorum dürfte die Lust auf Beteiligung eher sinken.

Quorum bei Bürgerentscheiden sollte abgeschafft werden

Zum Glück gibt es in der Politik wie im Sport Berater, die beim Aufstieg in der Tabelle helfen können. In diesem Fall sind das SPD, Grüne und einige Kommunalpolitiker. Sie trauen dem Bürger mehr zu als Innenminister Stahlknecht und fordern die Abschaffung des 25-Prozent-Quorums.

Das Innenministerium täte gut daran, den Entwurf vor der Einbringung in den Landtag zu überarbeiten. "Modern" ist diese Kommunalverfassung in puncto Bürgerbeteiligung nicht, ist sie allenfalls ein Reförmchen. Den Aufstieg in der Tabelle nur zu wollen, reicht nicht. Man muss sich dafür auch an den Besten orientieren. Tabellenführer Hamburg hat kein Quorum.