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Bundesstiftung Aufarbeitung Jetzt ist die Zeit der Lebensgeschichten

11.04.2014, 01:24

Stendal/Suhl | Der Umgang mit der DDR-Vergangenheit an zwei Schulen hat in jüngster Zeit für Aufsehen gesorgt: Eine Lehrerin in Suhl spielte mit ihrer Klasse in Blauhemden der FDJ den Schulalltag in der DDR nach, in Stendal verteidigte eine Pädagogin ein positives DDR-Bild gegen die kritischen Erinnerungen des Autors Roman Grafe. Beide Fälle passten nur zu gut zur Diskussion "Zwischen Aufarbeitung und Nostalgie - die DDR in der Erinnerungskultur", mit der die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in dieser Woche in Berlin ihre Veranstaltungsreihe "Erinnerungsort DDR" startete.

Geschichten erzählen

Was an den beiden Schulen passiert ist, steht für eine verstärkte Auseinandersetzung mit der DDR. "Wir machen einen großen Fehler, wenn wir dabei Systemgeschichte und Lebensgeschichten nicht voneinander trennen", warnte der Historiker Peter Steinbach in seinem Impulsreferat. "Wir müssen endlich die Geschichtten erzählen, die unser Leben ausmachen und müssen diese auch gegenseitig akzeptieren."

Der emeritierte Professor für Geschichte und Politikwissenschaft sieht hierin auch eine neue Qualität in der Debatte - "vor zehn oder 15 Jahren wäre man mit dieser Offenheit ins Messer der politisch korrekten Diskussion gelaufen". Doch nur durch unterschiedliche Biografien sei das Leben in der DDR zu verstehen.

Zugleich warb er hier für eine "klare Differenzierung". Dazu gehört für Steinbach auch das Eingestehen eigener Fehler. Von allen Seiten. "Ich wünsche mir auch vom Westen eine tiefere und selbstkritischere Diskussion."

Auf dem Podium in Berlin gab es da kaum eine Kontroverse, sondern mehr eine Selbstreflektion. Die Schriftstellerin Claudia Rusch ("Meine Freie Deutsche Jugend") plädierte dafür, "zwischen der privaten Geschichte und dem Land, in dem sie stattgefunden hat", zu unterscheiden: "Wenn ich sage, das war eine Diktatur, dann entwerte ich damit nicht die Lebensgeschichte."

Sergej Lochthofen, langjähriger Chefredakteur der "Thüringer Allgemeine", wies darauf hin, dass nicht jeder die Unfreiheit selbst so erlebt habe: "Bei dem ist auch ein leises Murren zu hören, weil er sich in einer Gesellschaft wiederfindet, die er eigentlich gar nicht haben wollte."

Autorin Rusch entdeckt bei manchen aber auch Scham, "nichts gemerkt" zu haben: "Das ist wie bei einer gescheiterten Ehe."

Die Berliner Gesamtschul-Lehrerin Saraya Gomis unterstützt den Ansatz des Erzählens von Lebensgeschichten. Schüler reiche ein Grundgerüst an Fakten als "Merkwissen", sie bräuchten vielmehr die Erfahrungen der Zeitzeugen. Das sei wie ein "großes Puzzlespiel", wobei die Jugendlichen nicht unterschätzt werden sollten - "sie verstehen sehr schnell, was Freiheit und Unfreiheit bedeutet".

Symbole nicht verbieten

Lochthofen ermunterte zu "mehr Entspannung" in der Debatte. Diese dürfe indes nicht zur "Geschichtsklitterung" führen. Von einem Verbot von DDR-Symbolen hält er hingegen nichts: "Wenn man sie populär machen will, sollte man genau das tun."

Der Journalist wagte, mit einem Bonmot zu veranschaulichen, wann die deutsche Einheit vollendet wäre: "Wenn die Westdeutschen Erich Honecker als ihren Generalsekretär akzeptieren", spielte er darauf an, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gerne auf Ludwig Erhard beruft, den "Vater des Wirtschaftswunders" in der jungen Bundesrepublik. "Honecker war Saarländer und eigentlich nur an uns ausgeliehen."

Steinbach fürchtet dagegen eine neue "Rote-Socken"-Diskussion: "Wenn wir nicht aufpassen, bildet sich in Ostdeutschland dann eine eigene CSU." Keiner wolle im Osten die alten Lebensverhältnisse zurück, ist der Wissenschaftler überzeugt, mahnte aber an die Adresse der Westdeutschen: "Wir müssen aber auch begreifen, was der Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine enorme Anpassungsleistung ist."