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Aufstände in Ost-Ukraine Der böse Geist ist aus der Flasche

Von Steffen Honig 16.04.2014, 03:16

Die Krim ist schon weg, der Osten versinkt im Bürgerkrieg - der Ukraine droht die Balkanisierung. Zerfällt das zweitgrößte Flächenland Europas, wie es etwa Samuel P. Huntington in seinem "Kampf der Kulturen" schon vor 20 Jahren prophezeit hatte?

So könnte die Spaltung ablaufen: Der Zentralregierung gelingt es nicht, die Widerstandsbewegung im Osten des Landes zu zerschlagen. Denn die Schlagkraft der ukrainischen Armee ist begrenzt, die Polizei ist demotiviert und die Nationalgarde erst vor wenigen Wochen aufgestellt worden.

Der nächste Schritt zur Spaltung wären die Abgrenzung des Territoriums und die Schaffung eigener russischsprachiger Verwaltungen. Das Ganze verbunden mit direkter und indirekter Hilfe durch die russische Regierung - und der trennende Schnitt quer durch das ukrainische Staatsgebiet wäre perfekt.

Inwieweit die Russen die Separatisten in der Ostukraine jetzt schon unterstützen, ist umstritten. Nur: Der böse Geist des Zerfalls, den Präsident Wladimir Putin mit der Besetzung der Krim aus der Flasche gelassen hat, lässt sich nicht mehr einfangen. Die Aktivisten in Donezk und Lugansk wollen, dass russische Truppen den Marschbefehl in die Ukraine erhalten.

Russischer Handstreich ist nicht möglich.

Wenn solche Absichten in Moskau heftig dementiert werden, macht das durchaus Sinn. Anders als die Krim wäre das Gebiet zwischen Charkow und Odessa nicht in einem Handstreich zu nehmen. Russland könnte es mit einem Guerilla-Krieg gegen die heimattreuen Ukrainer zu tun bekommen. Ein neues kriegerisches Abenteuer wie in Tschetschenien zu riskieren, kann nicht im Interesse der russischen Führung liegen.

Wohl aber eine Ukraine, die gefügig ist und es nicht wagen wird, dem großen Nachbarn in wichtigen Fragen zu widersprechen. Deshalb macht Russland schon die jetzige Übergangsregierung in Kiew bei jeder Gelegenheit madig.

Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union halten dagegen. Sie versprechen den Ukrainern Milliardenhilfen, damit das Land vor dem Bank-rott bewahrt wird. Der Westen nimmt dabei in Kauf, dass Ultrarechte in Kiew mitregieren und versucht Russland mit Sanktionen Zügel anzulegen und so dessen möglichen Griff nach der Ostukraine zu verhindern.

Nach diesem Szenario spielt die Präsidentschaftswahl am 25. Mai die entscheidende Rolle. Sie soll die Grundlage für eine legitimierte Staatsführung schaffen.

Die Abstimmung wäre nur sinnvoll, wenn sie unter internationaler Kontrolle stünde und somit nicht gleich Zweifel an der Rechtmäßigkeit mitschwingen würden.

Einen noch größeren Stellenwert hätte die Wahl, wenn sie mit an ein Referendum über mehr Autonomie gekoppelt wäre, wie es der amtierende ukrainische Präsident Alexander Turtschinow ins Spiel gebracht hat. Die Schwierigkeit besteht freilich darin, anerkannte Wahlen in einem Bürgerkriegsgebiet zu organisieren.

Geht die Rechnung aber auf, könnte die Ukraine als Einheitsstaat - nur ohne die Krim - bestehen bleiben. Bis zur Rückkehr zur staatlichen Stabilität wäre es dennoch ein weiter Weg.

Die seit Ende November 2013 ausgetragenen blutigen Ausein- andersetzungen zwischen Ukrainern und Russen, Polizisten und Demonstranten, Hardlinern und Demokraten haben Wunden geschlagen, die lange nicht verheilen werden.

Ökonomisch ist die Ukraine schwer angeschlagen, Hilfskredite können nur zur Überbrückung dienen. Bei vielen Ukrainern wird sich die bisherige Begeisterung für Europa schnell legen, wenn es in absehbarer Zeit wirtschaftlich nicht vorangehen sollte. Allein die Öl- und Gaslieferungen aus Russland einschließlich aufgelaufener Schulden zu bezahlen, erfordert Unsummen.

Blockfreiheit ist Überlebensgarantie.

Auf ihre früheren Nato-Ambitionen muss die Ukraine tunlichst verzichten. Die Blockfreiheit ist mit Blick auf russische Interessen eine Überlebensgarantie.

Erstmals seit Beginn des Ukraine-Desasters haben Vertreter Russlands, der Ukraine, der USA und der EU für Donnerstag in Genf ein Treffen vereinbart, um den Zusammenbruch des osteuropäischen Landes zu verhindern. Doch um den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, müsste an bislang unvereinbaren Standpunkten gerüttelt werden.

Der Westen will eine europa-orientierte und geeinte Ukraine fördern, während Russland für ein lockeres Staatswesen plädiert, in dem die Regionen nach Sprache und Kultur auseinandersortiert werden. Im Vergleich zur blutigen Wirklichkeit ist das wie eine Debatte aus einer anderen Welt. Politik