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Wie der türkische Premier Davutoglu in Berlin das Selbstbewusstsein seiner Landsleute stärktDas doppelte Herz der Deutschtürken

Premiere im Berliner Tempodrom: Erstmals tritt der neue türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu vor mehr als 2000 in Deutschland lebenden Türken auf. Der Politiker fordert den Erhalt eigener Kultur bei gleichzeitiger Integration - ein schwieriger Spagat.

Von Steffen Honig 14.01.2015, 02:05

Muammar Sisman ist guter Dinge. "Ich habe schon vieles gehört über Davutoglu, der ja Professor und sehr gebildet ist. Mal sehen, was er zu sagen hat", sagt der Versicherungsmakler aus Berlin-Spandau. Mit Gattin Zübeyde und Nachbarn sitzt er erwartungsvoll auf der Empore des mit rund 2000 Besuchern gut gefüllten Tempodroms. Was sich am Montagabend hier abspielt, ist eine Mischung zwischen Familien-Happening und Parteitag.

Die Sitzreihen haben die Organisatoren mit ausreichend Winkelementen bestückt: Türkische Fahnen zumeist, aber auch deutsche Flaggen. Die Besucher kommen auf Einladung der "Union Europäisch-Türkischer Demokraten", einer Art verlängerter Arm der türkischen Regierungspartei AKP.

Mit Volksliedern, patriotischen Gesängen und einem eingespielten Davutoglu-Wahlspot werden die Besucher, die teils familienweise mit mehreren Generationen vertreten sind, in Stimmung gebracht und bei Laune gehalten. Denn der Premier hat heftige Verspätung nach einem Tag voller wichtiger Termine in der deutschen Hauptstadt.

Als er endlich die Bühne betritt, scheint es kein Halten mehr zu geben. Der Rundbau verwandelt sich in ein Fahnenmeer, es wird gejubelt und applaudiert bis zur Schmerzgrenze.

Das geht dem schmächtigen Ministerpräsidenten und AKP-Vorsitzenden offensichtlich herunter wie Öl. "Wir sind stolz auf euch!", lobt er die Versammelten im Saal überschwänglich. Schließlich tritt er im Tempodrom in sehr große Fußstapfen: die seines Vorgängers Recep Tayyip Erdogan, jetzt Präsident der türkischen Republik, der im Vorjahr in derselben Halle von seinen Landsleuten gefeiert worden war. Zahlreiche Gäste tragen Erdogans Konterfei auf rot-weißen Schals, sein Geist ist in der Halle allgegenwärtig. Als Davutoglu den Namen Erdogan erstmals erwähnt, schlägt das sämtliche vorherigen Beifallsstürme.

"Ihr habt unsere schöne Sprache nicht vergessen."

Der Premierminister will auf Erdogans Popularität aufbauen. Er lässt keinen Zweifel daran, dessen Kurs fortführen zu wollen. Dazu gehören intensive Streicheleinheiten für die Auslandstürken, mit Inbrunst vorgetragen. Das klingt dann so: "Ihr seid die Nachkommen des großen Volkes aus Anatolien!" Oder: "Ihr habt unsere schöne Sprache nicht vergessen!" Und: "Ihr müsst aufrecht und stolz sein!"

Womit die Richtung vorgegeben ist, die sich Davutoglu für die türkische Gemeinschaft in Deutschland wünscht: "Im Rahmen der Integration haben die Türken das Ihrige getan. Bei Sprache und Traditionen gibt es keine Zugeständnisse." Er spricht von "zwei Herzen" der Landsleute, neben der Bewahrung der eigenen Identität sollten sie "soziale und politische Rechte nutzen", um sich zu integrieren.

Feyza und Orkide dachten bisher, nach dem Prinzip des doppelten Herzens gehandelt zu haben. Die beiden Studentinnen geben an die wenigen im Saal, die des Türkischen nicht mächtig sind, Übersetzungsempfänger aus. Doch durch die "Pegida"-Bewegung sind die beiden Deutschtürkinnen schwer ins Grübeln gekommen: "Das macht uns sehr ärgerlich. Wir sind in Berlin geboren und hier zu Hause. Religion und Rassismus gehören nicht zusammen." Feyza: "Schon in der 3. Klasse haben wir in der Schule etwas über Toleranz und Meinungsfreiheit gelernt. Nun zeigen uns Erwachsene genau das Gegenteil."

"Es lebe die deutsch-türkische Freundschaft."

Mit Blick auf die Ausländerfeindlichkeit verweist der Ministerpräsident auf die NSU-Mordserie. Als früherer Außenminister sei er aus deshalb mehrfach in Deutschland gewesen: "Ich kann immer noch spüren, wie groß die Trauer ist." Gegen den Rassismus helfe nur, überall für die Freundschaft von Türken und Deutschen einzutreten.

Sogleich schwingt sich Ahmet Davutoglu zum rhetorischen Höhepunkt seiner Rede im Tempodrom auf: "Es lebe die deutsch-türkische Freundschaft!", schmettert er ins Rund. Auf Deutsch, was Erinnerungen an Charles de Gaulle weckt, der gleiches dereinst für Frankreich und Deutschland verkündet hatte.

Nicht zuletzt wegen der Identitätswahrung versichert der Premier den Türken weltweit wie auch in Deutschland stete Fürsorge der Regierung. Man lasse sich auch durch die "Anschwärzungskampagne" nach den Gezipark-Protesten nicht vom Weg abbringen. Davutoglu: "Die neue türkische Republik will zu einem Global Player werden, der sich für seine Bürger einsetzt."

Die Türken im Ausland sollen davon auch ganz praktisch etwas haben. Für die Geburt eines Kindes erhalten türkische Mütter eine Münze vom Staat im Wert von umgerechnet 110 Euro, kündigt der Ministerpräsident an, was ihm Applaus einträgt. Die Regierung greift damit eine alte osmanische Tradition auf.

"Wir erwarten von euch, dass ihr wählen geht."

Für die ständige Obhut will die Türkei etwas zurückbekommen. Davutoglu setzt in Berlin beim Wahlrecht an, das auch sämtliche Auslandstürken haben. Bei den jüngsten Abstimmungen war die Wahlbeteiligung unter den Türken in Deutschland aber eher gering. Der Ministerpräsident würde das gern anders sehen. "Wir erwarten von euch, dass ihr wählen geht", erklärt er. Wobei sicher eine Rolle spielt, dass seine Partei - die islamisch-konservative AKP - bei den Deutschtürken erfahrungsgemäß sehr gut abschneidet. Die nächste Gelegenheit, die Treue zur Heimat an der Urne zu bekunden, haben die Türken in Deutschland im Juni bei der Parlamentswahl.

Eine frohe Botschaft gibt der Regierungschef den Berliner Türken noch mit den Weg: "Heute oder morgen wird die Türkei Vollmitglied der Europäischen Union werden", ruft er unter Beifall in den Saal.

Der Spandauer Muammar Sisman im Zuschauerrang ist da etwas anderer Meinung. "Das mit dem EU-Beitritt ist doch nur eine Show", meint er und grinst, "da wird die Türkei doch nie reinkommen. Oder erst dann soweit sein, wenn es die EU nicht mehr gibt."