1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Das letzte Gebot – oder: Alles für die Quote, wenig für die Olympiasportarten

Die Diskussion um die Sportrechte im Fernsehen erreicht eine neue Stufe Das letzte Gebot – oder: Alles für die Quote, wenig für die Olympiasportarten

30.03.2011, 04:30

Von Rudi Bartlitz

Wenn Nadine Kleinert an die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in diesem Jahr denkt, ist sie zwar nicht um den Schlaf gebracht, der heilige Zorn packt sie aber dennoch. Nicht wegen irgendwelcher absurder Qualifikationsnormen, obskurer Monster-Gegnerinnen oder unwirtlicher Bedingungen vor Ort im südkoreanischen Daegu.

Nein, die Magdeburger Kugelstoßerin und ihre Kollegen der Leichtathletik-Nationalmannschaft sind stinksauer, dass von diesem Jahreshöhepunkt der olympischen Kernsportart Nummer eins womöglich in Deutschland nicht ein einziges Live-Bild zu sehen sein wird. Das wäre ein Novum in der Historie des Welt-Championats.

Und so laufen die Athleten, ihr Verband und der Deutschen Olympische Sportbund (DOSB) denn derzeit Sturm gegen die Entscheidung der beiden öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, im August auf Übertragungen aus Asien zu verzichten. Doch ein Brief an die Kanzlerin blieb bisher ebenso wirkungslos wie die Einschaltung des Bundestages oder sonstige öffentliche Appelle.

Worum geht es?

Schlichtweg darum, dass ARD/ZDF die Kosten für die zweiwöchigen Übertragungen zu hoch erscheinen. 12 bis 15 Millionen Euro soll der vom Leichtathletik-Weltverband IAAF beauftragte Vermarkter für Live-Bilder fordern. Die beiden deutschen Anstalten wollen jedoch höchstens die Hälfte zahlen, in konkreten Zahlen: sechs, im Extremfall sieben Millionen Euro.

Unter anderem deshalb, weil – bedingt durch die Zeitverschiebung – die Entscheidungen in Südkorea in für deutsche Verhältnisse ungünstigen Momenten fallen und damit einer höheren Einschaltquote von vornherein Grenzen gesetzt sind. In simplem Kaufmanns-Deutsch: Die Ware hat an Wert verloren.

Doch so einfach will es die Front derer, die seit Jahren eine breitere Skala von Sportereignissen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fordern, ARD und ZDF nicht machen. Deutschlands oberster Sportler, DOSB-Chef Thomas Bach, sagt denn auch: "Wir treten dafür ein, dass beide Anstalten ihrem öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag nachkommen und die gesamte Vielfalt des Spitzensports im Fernsehen abbilden." So müsse in der ARD-Sportschau "endlich mal wieder drin sein, was draufsteht". Die Sportschau dürfe eben nicht nur eine reine Fußball-Schau sein.

Tischtennis-Star Timo Boll meint: "Wenn rund um die Uhr nur noch Fußball läuft und ansonsten höchstens noch Boxen, Biathlon und Formel 1, alle anderen Sportarten aber auf der Strecke bleiben, ist das nicht in Ordnung. Leichtathletik, Kunstturnen oder natürlich Tischtennis dürfen nicht völlig von der Bildfläche verschwinden. Die Folge ist, dass sie irgendwann ihre Talente verlieren."

"Der Jagd nach Quoten verschrieben"

So nobel die Worte des Zelluloid-Königs klingen, sie werden, so ist zu vermuten, weitgehend ungehört verhallen. Denn ARD und ZDF haben sich im Wettbewerb mit den Privatsendern längst mit Haut und Haaren der Jagd nach Quoten verschrieben. Sie senden (nur) das, wovon sie annehmen, dass es die Massen der Zuschauer an die Bildschirme treibt. Und das ist nun einmal Fußball, Fußball, Fußball, und dann eben Boxen; für die Formel 1 besitzt ja (aus Sicht der Öffentlich-Rechtlichen: leider) RTL die Rechte.

Eine Messung der IMF Sports Group, die das Maganzin "Sport Bild" dieser Tage veröffentlichte, zeigt, dass bei ARD/ZDF im Jahr 2010 bei der Live-Sendedauer König Fußball unangefochten das Zepter schwingt. Mit 317 Sendestunden liegen die Kicker klar vor Ski alpin (70) und Biathlon (68). Dass die Wintersportdisziplinen (Platz vier und fünf gehen an Ski nordisch und Skispringen) wesentlich besser bedient werden als ihre Sommerkollegen, hängt mit den oft ellenlangen Wintersport-Direktübertragungen an den Wochenenden zusammen.

Die beiden Gebühren-Anstalten verweisen zuletzt immer wieder darauf, dass auch sie zum Sparen angehalten sind. So muss die ARD für 2011 und 2012 angeblich aus ihrem Sportetat 20 Millionen Euro einsparen. Für viele Beobachter ist deshalb um so unverständlicher, dass dieselbe ARD jetzt einen Vertrag mit dem Profibox-Veranstalter Sauerland abgeschlossen hat, der diesem in drei Jahren sage und schreibe 54 Millionen Euro in die Kassen spülen soll.

Andererseits: Boxen ist ohne Zweifel im TV attraktiv und beim Zuschauer beliebt. Das bekam zuletzt Gottschalk mit "Wetten, dass ...?" zu spüren, als bei ihm zweieinhalb Millionen weniger einschalteten als beim nahezu parallel ausgestrahlten Klitschko-Kampf auf RTL.

Doch die Entwicklung geht noch weiter: Selbst in den 3. Programmen ist die Quotenjagd längst voll eröffnet. So besitzen andere Sportarten als Fußball in der MDR-Sendung "Sport im Osten" immer mehr Rand-Charakter. Ja, mehr noch. In der fußballlosen Zeit, wenn also vermeintliche Randsportarten einmal fröhliche Urständ feiern könnten, wird die Sendung oft einfach völlig aus dem Programm genommen.

Für das jüngste Ärgernis sorgte das ZDF. Trotz angeblich klammer Kassen warf man jetzt den Hut in den Ring, als die att- raktiven Rechte der Fußball-Champions-League feilgeboten wurden. 55 Millionen Euro, vermuten Insider, soll den Mainzelmännern dies wert sein. Pro Saison, wohlgemerkt.Das Geld für die Leichtathletik ist nicht da, monieren Kritiker, aber gleichzeitig wird ein Vielfaches für den Fußball bereitgehalten.

Auch die Privaten bringt die ZDF-Offerte in Rage. Sat.1, das derzeit die Champions League im Free-TV überträgt, befürchtet, gegen einen gebührenfinanzierten Konkurrenten am Ende vielleicht den Kürzeren zu ziehen.

"Aktion schwarzer Bildschirm"

Die Beispiele Leichtathletik-WM und Fußball-Champions-League werfen nur zwei Schlaglichter auf die derzeit angeheizte Stimmung rund um die Sportrechte im Fernsehen. Fußball-Bundesliga und Olympische Spiele sind andere, vielleicht noch größeren Brocken.

Gerade bei der Deutschen liebstem Kind, der Bundesliga, lassen die Spitzenklubs kaum eine Woche vergehen, um mit tätiger Mithilfe der Liga-Vereinigung (DFL) nicht darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich viel mehr Geld für die Übertragungsrechte bekommen müssten. Als Beispiele müssen dann immer wieder England, Spanien und Italien herhalten.

Und in schöner Regelmäßigkeit tauchen hierzulande immer wieder neue Modelle auf, dem Bezahlfernsehen mehr Exklusivität dadurch zuzuschanzen, dass die Bundesliga-Bilder im frei empfangbaren TV weiter in den späten Sonnabendabend geschoben werden. Zuletzt war von einer Übertragung der Liga am frühen Abend nur noch im Internet die Rede.

Nächste mögliche Hiobsbotschaft: Auch bei Olympia 2014 (Sotschi) und 2016 (Rio de Janeiro) ist eine Aktion "schwarzer Bildschirm" nicht mehr völlig auszuschließen. Derzeit ergibt sich dieses Bild: Die Millionarios des IOC hoffen allein bei den Deutschen auf Erlöse zwischen 150 und 200 Millionen Euro. ARD und ZDF sollen, so ist zu hören, jedoch höchstens 80 Millionen zahlen wollen. Die Verhandlungen sind vorerst abgebrochen.

Derweil, und das ist das Neueste, hat sich die Politik der vertrackten Sache der TV-Rechte angenommen. Der Bundestag will möglicherweise darüber diskutieren, ob es für ARD und ZDF so etwas wie Leitlinien für Übertragungen von internationalen Sportereignissen geben soll. Vielleicht heißt es dann ja schon bald am Mittwochabend: Dieses Champions-League-Spiel wurde Ihnen präsentiert – "Im Namen des Volkes ..."