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Drei politische Schwerpunkte dieses Jahres Ein Blick voraus und ein guter Rat von Heinrich Heine

04.01.2011, 04:23

Von Gerald Semkat

Wer hätte vor einem Jahr angesichts trüber Krisenstimmung gedacht, dass Deutschland 2010 den größten Wirtschaftsaufschwung seit der Vereinigung erreichen würde? Auch in einer Vorschau auf das neue Jahr stecken viele Unbekannte. Hilfreich ist möglicherweise ein Rat von Heinrich Heine. Der große Dichter schrieb: "Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen, wir müssen ihn erforschen, um zu wissen, was der morgige will." Dies sei also Leitfaden bei der Betrachtung von drei politischen Schwerpunkten dieses Jahres.

Hartz IV

Das unter Rot-Grün geschriebene Hartz-IV-Gesetz sollte seit 1. Januar auf verfassungsgerechter Basis stehen. Die vom Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 verlangte Reform soll neben höheren Regelsätzen eine Bildungsförderung für Kinder aus Hartz-IV-Familien beinhalten. Dem hat die schwarz-gelbe Regierung auf ihre Art Rechnung getragen. Sie brachte ihre Reform 2010 zwar durch den Bundestag, aber nicht durch den Bundesrat. Dort setzten SPD und Grüne ein Stoppzeichen. Einer der wichtigsten Vorwürfe: Das Bundesarbeitsministerium von Ursula von der Leyen (CDU) hat den Regelsatz nicht, wie bisher üblich, anhand jener 20 Prozent der geringsten Einkommen festgelegt, sondern den Maßstab willkürlich auf 15 Prozent gesenkt. Das mache dieses Gesetz verfassungswidrig.

Und nun gibt es zu Jahresbeginn Streit im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat über Detailauswertungen zur Berechnungsgrundlage der Regelsätze und über Termine. Das könnte eine Einigung bis zur nächsten Bundesratssitzung am 11. Februar gefährden.

Die Politik muss nachsitzen. Sie tut dies quasi auf dem Rücken derer, denen fünf Euro mehr im Monat, Bildungsgutscheine und ein warmes Schulessen für die Kinder versprochen worden waren. So werden Hartz IV und die Frage, wie Sozialpolitik aussehen soll und wie Chancengerechtigkeit zu definieren ist, wohl auch in diesem Jahr zum Dauerbrenner.

Der Wirtschaftsaufschwung ist im vergangenen Jahr an vielen vorbeigegangen. 890 000 Männer und Frauen waren im November 2010 bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern als langzeitarbeitslos, also als Empfänger von Arbeitslosengeld II, registriert. Das ist gut ein Drittel aller gemeldeten Jobsucher. Für dieses Jahr rechnet die Bundesagentur für Arbeit mit 50 000 Langzeitarbeitslosen weniger.

Das könnte auch manchen kommunalen Haushalt entlasten. Schließlich zahlen Städte und Gemeinden bei Hartz IV Zuschüsse für Mieten und Heizung. Wer arbeitet und entsprechend verdient, kann das selbst bezahlen. Auch unter diesem Blickwinkel wird die Debatte über Mindestlöhne in diesem Jahr hoch spannend. Ein Mindestlohn bei Zeitarbeit ist einer der Streitpunkte bei den Vermittlungsgesprächen zur Hartz-IV-Reform. Kurz vor Jahresende hatte die FDP hier erstmals Kompromissbereitschaft signalisiert. Zeitarbeit sei zwar ein wichtiges Instrument zur Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, so die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger. Aber "durch Zeitarbeit dürfen Stammbelegschaften nicht ersetzt werden und es darf keine Lohnspirale nach unten geben".

Geld und Gesundheit

Die Lage der Finanzen hat sich erheblich zugespitzt, die Kommunen sehen für 2010 ein Rekorddefizit von 11 Milliarden Euro. Dabei hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung im März vergangenen Jahres eine Kommission ins Leben gerufen, die die Kommunalfinanzen reformieren sollte.

Kurz vor Jahresende dämpfte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) alle Aussichten auf ein rasches Ergebnis. Hauptobjekt des Streits ist die Gewerbesteuer. Brüderle will sie abschaffen. Das will die Wirtschaft auch. Der Minister argumentiert: Diese Steuer sei über die Jahre sehr kompliziert geworden und könne aufgrund der Hinzurechnungen von Zinsen, Mieten und Pachten dazu führen, dass die Substanz der Unternehmen besteuert werde. Die FDP will die Kommunen an der Mehrwertsteuer beteiligen und ihnen ein Hebesatzrecht bei Einkommen- und Körperschaftsteuer gewähren. Diese Idee gilt als nicht mehrheitsfähig.

"Wer die Gewerbesteuer abschaffen und damit Großunternehmen um zig Milliarden entlasten will, der soll sagen, wie künftig Schulen, Kindergärten, Bibliotheken und Schwimmbäder finanziert und unterhalten werden sollen", erklärt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Bürgermeister und Kommunalverbände halten an der konjunkturell schwankenden Gewerbesteuer fest. Für 2010 sehen die Kommunen bei der Gewerbesteuer ein Plus von mehr als vier Prozent gegenüber 2009. Man kann wohl sagen, dass diese Reform in den Sternen steht.

Als ein wesentliches Vorhaben der Regierung für die kommenden zwölf Monate hat Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache die Verbesserung des Gesundheits- und Pflegesystems genannt.

Erinnern wir uns. Infolge der im vergangenen Jahr beschlossenen schwarz-gelben Reform zahlen die rund 50 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen seit dem Jahreswechsel einen Beitragssatz von 15,5 Prozent statt bisher 14,9 Prozent. Diesen Anstieg trugen Arbeitnehmer und Arbeitgeber letztmalig je zur Hälfte. Künftige Kostensteigerungen muss der Arbeitnehmer allein schultern. Zudem können Kassen von diesem Monat an unbegrenzte Zusatzbeiträge erheben. Aus Steuergeld soll es einen Ausgleich geben. Für die jetzt noch 150 gesetzlichen Krankenkassen gibt es in diesem Jahr 179 Milliarden Euro. Das reicht vielleicht für eine "Verschnaufpause" bis sich 2012/2013 die Frage nach der Höhe der Zusatzbeitrage und dem Steuerausgleich mit voller Wucht neu stellt.

In diesem Jahr will die Bundesregierung die Finanzen der Pflegeversicherung reformieren – eventuell mit neuen Zusatzbeiträgen für eine Kapitalreserve. Gegen den Ärztemangel auf dem Land will Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) ein Versorgungsgesetz auf den Weg bringen. Und Rösler will mittelfristig auch die Wahlmöglichkeit für Patienten erleichtern, ihre Arztrechnung selbst zu bezahlen und sich das Geld dann von der Kasse zurückzuholen.

Kritiker sehen Deutschland nicht nur auf dem Weg zur Drei-Klassen-Medizin, sondern die Gesellschaft auseinanderdriften. Wenn wir das am heutigen Tag hören, wissen wir, der morgige wird Protest bringen. Womit wir wieder bei dem guten Rat von Heinrich Heine sind.