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Italiens Regierungschef muss sich Vertrauensfrage und Misstrauensvotum stellen Wer gräbt Berlusconi das Wasser ab?

11.12.2010, 04:24

Von Tina Heinz

Bunga-Bunga und wilde Feiern mit jungen Frauen, rassistische Ausfälle, das Mülldesaster in Neapel, schwulenfeindliche Aussagen und die Beleidigung von Medien – seit langem gibt es aus Italien und vor allem von Regierungschef Silvio Berlusconi keine positiven Nachrichten mehr. In den Wikileaks-Veröffentlichungen wird der Ministerpräsident als eitel und inkompetent charakterisiert.

Zweifel daran lässt er nicht aufkommen, betrachtet man beispielsweise die Müllberge, die sich in Neapel stapeln. Seit Ende Oktober herrscht dort Chaos, nachdem der Deponiestandort Terzigno im Vesuv-Naturschutzgebiet wieder von Demonstranten blockiert wurde. Innerhalb weniger Tage sollte das Problem behoben werden, hatte Berlusconi herausposaunt. Diese Frist hielt er auch ein und erklärte Anfang November, der Fall sei gelöst. Seitdem fahren die Neapolitaner Slalom und klettern über Müllsäcke und Container, wenn sie mit dem Auto oder zu Fuß in der Stadt unterwegs sind.

Weil sich die italienische Politik seit über einem Jahr fast ausschließlich um das Privatleben des 74-jährigen Machthabers dreht, spitzt sich die Regierungskrise im Stiefelland immer mehr zu. Seitdem Berlusconi Parlamentspräsident Gianfranco Fini aus seiner Partei "Volk der Freiheit" (PDL) geworfen hat und vier Kabinettsmitglieder der Fini-Fraktion zurückgetreten waren, fehlt dem Regierungschef die Mehrheit. Wie es nun mit Silvio Berlusconi, der Regierung und dem Land weitergeht, entscheidet sich am kommenden Dienstag. Dann wird in den beiden Kammern des italienischen Parlaments abgestimmt – über den von der Opposition geforderten Misstrauensantrag sowie im Senat über die von Berlusconi beantragte Vertrauensfrage.

Im Senat gilt eine Mehrheit für den Regierungschef als relativ sicher. Anders im Abgeordnetenhaus: Sollte der 74-Jährige die Abstimmung verlieren, wäre dies zwar ein kleiner Denkzettel für den Machthaber, er könnte jedoch sofortige Neuwahlen fordern und hätte dabei vermutlich gute Chancen. Denn Finis neuer Partei "Zukunft und Freiheit für Italien" (FLI) fehlen noch die Strukturen und andere mehrheitsfähige Alternativen gibt es nicht. Zudem ist die Opposition dermaßen zerstritten, dass es Berlusconi zugute kommen könnte. Auch das aktuelle Wahlrecht gibt dem Regierungschef gute Möglichkeiten, wenn er mit dem Koalitionspartner "Lega Nord" zusammenarbeitet.

Um dies abzuwenden, muss Gianfranco Fini, der früher als Mussolini-Verehrer auftrat, sich seit langem jedoch gemäßigt und seriös präsentiert, auf eine Übergangsregierung hoffen. Die Verfassung gewährt Präsident Giorgio Napolitano das Recht, ein solch temporäres Kabinett zu bilden, wenn sich dafür eine Mehrheit finden lässt. Diese Variante muss Silvio Berlusconi am ehesten fürchten.

Die Übergangsregierung aus Zentrumskräften um Fini würde von den Linken mit großer Wahrscheinlichkeit toleriert. Sie könnten sich dann bis zu den Neuwahlen besser aufstellen und bestimmte Projekte verabschieden. Ganz im Sinne des Parlamentspräsidenten Fini wäre sicherlich eine Änderung des aktuellen Wahlrechts. Dies bevorzugt große Wahlbündnisse und benachteiligt kleinere Parteien – einer der Gründe, warum Berlusconi bei einem sofortigen Urnengang erneut gewählt würde.

Staatspräsident Napolitano – früher in den kommunistischen Reihen zu finden – ist, ebenso wie Gianfranco Fini, kein Freund von Medienmogul Berlusconi und fordert bereits seit längerem eine Reform des derzeitigen Wahlrechts. Mit einer Übergangsregierung könnte dies nun durchgesetzt werden. Wer das temporäre Kabinett leiten könnte, darüber spekulieren italienische Zeitungen schon seit einer Weile. Unter anderen sind die Namen von Mario Monti, früher EU-Kommissar, Angelino Alfano, gegenwärtig Justizminister, und Gianni Letta, lange Zeit engster Mitarbeiter von Silvio Berlusconi, gefallen. Auch dem amtierenden Finanzminister Giulio Tremonti wird eine wichtige Position vorausgesagt, denn der 63-Jährige hat nach Meinung der italienischen Zeitungen das Land trotz Rekordverschuldung gut durch die Krise gelenkt.

Wie es nun mit Italien weitergeht und wer Berlusconi politisch das Wasser abgräbt, wird sich am 14. Dezember zeigen. Eins ist jedoch jetzt schon sicher: Sollte es zu Neuwahlen kommen, wird der 74-jährige Regierungschef eine riesige Medienkampagne starten und alle möglichen Hebel in Bewegung setzen. Und unmöglich ist im Falle Berlusconi nichts. Immerhin ist er insgesamt seit zehn Jahren im Amt und gewährt dem Land, in dem früher fast jährlich die Regierungen wechselten, eine gewisse Kontinuität und Stabilität. Wen interessiert es da noch, dass Silvio Berlusconi Italien in der restlichen Welt zu einer Lachnummer degradiert hat?