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Noch nie haben ausländische Truppen in Afghanistan schwerere Verluste erlitten wie 2010 Nach jahrelangen Rückschlägen erste vorsichtige Erfolge am Hindukusch

27.12.2010, 04:24

Von Can Merey

Im vergangenen Sommer herrschte in weiten Teilen Afghanistans Weltuntergangsstimmung. Nichts schien zu funktionieren. Der Kampf gegen die Taliban wirkte aussichtslos, die Regierung in Kabul ebenso korrupt wie ineffizient, und die Wiederaufbau-Bemühungen des Westens schienen ohne größere Ergebnisse zu verpuffen. Weiterhin sind Sicherheit und Stabilität in Afghanistan nicht in Sicht, und etliche Probleme sind ungelöst. Erste vorsichtige Erfolgsmeldungen lassen aber darauf hoffen, dass zumindest der jahrelange Abwärtstrend gestoppt sein könnte.

Ein Scheitern des Westens am Hindukusch ist weiterhin alles andere als ausgeschlossen, erscheint aber nicht mehr so hochgradig wahrscheinlich wie noch vor einigen Monaten. "Die Stimmung ändert sich", sagt ein westlicher Experte in Kabul, der anonym bleiben will. "Der Tanker dreht sich." Die Bundesregierung hofft in ihrem Fortschrittsbericht Afghanistan auf eine "spürbare Trendwende" 2011, für die in diesem Jahr die Grundlagen gelegt worden seien.

Tatsächlich brachte 2010 einiges an Dynamik: Bei internationalen Konferenzen in London und erstmals auch in Kabul wurde vereinbart, dass die Afghanen die Verantwortung für die Sicherheit 2014 von den internationalen Truppen übernehmen sollen. Präsident Hamid Karsai bekam die Unterstützung der Staatengemeinschaft für den Versuch, eine Aussöhnung mit den Taliban in die Wege zu leiten. Auf einer sogenannten Friedens-Dschirga in Kabul erhielt er dafür auch ein Mandat vom Volk.

Die Internationale Schutztruppe Isaf wuchs in diesem Jahr auf Rekordstärke an und umfasst jetzt über 130 000 Soldaten – mehr als das 40-fache der Größe beim Einsatzbeginn vor neun Jahren. Die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte, die der Schlüssel für einen Abzug der Ausländer ist, schreitet schneller voran als erhofft. Im schwer umkämpften Süden und im deutschen Einsatzgebiet im Norden verbuchten afghanische und Isaf-Truppen militärische Erfolge. Die Taliban verloren zahlreiche Kämpfer und Anführer. Für den zivilen Wiederaufbau steht so viel Geld zur Verfügung wie nie zuvor.

Soweit die aus westlicher Sicht guten Nachrichten vom Hindukusch. An schlechten mangelte es auch 2010 wieder nicht. Die Gewalt in Afghanistan erreichte ein Allzeithoch. Die internationalen Truppen mussten ihre bislang schwersten Verluste hinnehmen: Rund 700 ausländische Soldaten starben seit Anfang Januar beim Einsatz in Afghanistan, der bald länger dauert als einst die sowjetische Besetzung des Landes. Die Zahl der getöteten afghanischen Sicherheitskräfte liegt noch wesentlich höher.

Auch acht Bundeswehr-Soldaten fielen, ein weiterer starb bei einem Unfall. Wieder kostete der Konflikt zahlreiche Zivilisten das Leben. Im ersten Halbjahr wurden nach UN-Angaben 1270 Unbeteiligte getötet, die allermeisten davon bei Anschlägen und Angriffen der Taliban.

Große Hoffnungen waren mit Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal verbunden worden, dem es gelingen sollte, das Ruder herumzuwerfen. Doch dann musste der amerikanische General im Sommer seinen Hut nehmen, nachdem er sich abfällig über US-Regierungsmitglieder geäußert hatte. An seine Stelle trat sein bisheriger Vorgesetzter, General David Petraeus, auf dem nun die Hoffnungen des Westens ruhen.

Die Parlamentswahl 2010 wurde wie schon die Präsidentenwahl im Jahr zuvor von massivem Betrug überschattet, nur etwa jeder dritte Afghane gab seine Stimme ab. Regierung und Behörden sind immer noch ineffektiv, Schmiergeldzahlungen und Vetternwirtschaft sind an der Tagesordnung. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Afghanistan gleichauf mit Myanmar, dem einstigen Birma. Noch korrupter ist nur Somalia, das seit Jahren keine funktionierende Regierung mehr hat. Ganz an der internationalen Spitze liegt Afghanistan weiterhin beim Drogenanbau. Immer noch kommen rund 90 Prozent des Rohopiums vom Hindukusch.

Auch echte Verhandlungen mit den Taliban liegen in weiter Ferne, wenn sie überhaupt je stattfinden sollten. Bislang soll es Kontakte zwischen Regierung und Aufständischen geben, mehr nicht. Zwar verhandelte Karsai mit einem angeblichen Taliban-Unterhändler, den die Nato sogar zu den Gesprächen flog. Der Mann stellte sich aber als Hochstapler heraus. Nachdem er Geld vom Westen erhalten haben soll, setzte er sich ab. Das Nachbarland Pakistan, ohne dessen Unterstützung Verhandlungen kaum Aussicht auf Erfolg haben, bleibt ein unsicherer Kantonist, die Rolle des Geheimdienstes ISI undurchschaubar.

Die Zahl der schlechten Nachrichten überwiegt die der guten also um einiges. Ob die ersten Erfolge nachhaltig sind, wird sich nicht vor dem kommenden Frühjahr zeigen. Dann werden die Taliban aus ihren Winterlagern zurückkehren. Eine Bilanz wird Ende 2011 gezogen. Dann will die Bundesregierung auf Bitten Karsais wieder eine internationale Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn ausrichten – zehn Jahre nach der historischen Konferenz dort, auf der Ende 2001 die Weichen für das Land gestellt worden waren. (dpa)