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Gastbeitrag zur Finanzierung der Europäischen Union Wie die EU-Kosten für jeden Bürger verschleiert werden

29.12.2010, 04:23

Von Lüder Gerken

Man könnte sagen: Das Europäische Parlament (EP) kommt in die Pubertät. Es fängt an, aufmüpfig zu werden. Seit einem Jahr darf es dank Lissabon-Vertrag bei fast allen politischen Fragen mitentscheiden. Das war überfällig.

Die neue Machtfülle hat auch das Selbstbewusstsein deutlich gestärkt. Die Verhandlungen über den EU-Haushalt 2011 nutzte das EP für einen Coup: Für seine Zustimmung verlangte es von den Mitgliedstaaten, dass die mit ihm über die Einführung einer eigenen EU-Steuer verhandeln – obwohl beides wenig miteinander zu tun hat. Die Staaten sagten Nein. Daraufhin platzten die Verhandlungen. Die Schuld gab das EP den Mitgliedstaaten. Diese hätten, so ein FDP-Abgeordneter, dem Haushalt "den Todesstoß" versetzt, sie trügen den Machtkampf "auf dem Rücken der Bürger" aus.

Ach so? Die Abgeordneten wollen die Menschen mit einer neuen Steuer belasten, und wenn die nicht kommt, ist das zu deren Schaden? Es ist interessant, wie eine Partei, die in Deutschland unermüdlich Steuersenkungen fordert, in der EU-folgenlos das glatte Gegenteil verlangen kann. Das Motiv des EP ist klar: Eine eigene Steuer beschert neue Möglichkeiten, Geld auszugeben und damit Klientele zu privilegieren.

Zu Recht hielten die Mitgliedstaaten dagegen: Wehret den Anfängen. Als der preußische Finanzminister Miquel 1891 erstmals in Deutschland eine progressive Einkommensteuer einführte, lag der Eingangssteuersatz bei 0,6 Prozent. Seitdem ist er um mehr als das Zwanzigfache auf 14 Prozent gestiegen. Auch wenn eine EU-Steuer zunächst ähnlich niedrig sein dürfte wie die Steuer von 1891, wird niemand so naiv sein zu glauben, dass es dabei bliebe. Und nur ein Narr würde darauf bauen, dass die Einführung einer EU-Steuer den deutschen Staat veranlassen könnte, deutsche Steuern entsprechend zu senken. Das Nein der Mitgliedstaaten lag also im Interesse der Bürger.

Der Haushalt wurde doch verabschiedet: das EP hat klein beigegeben. Ausgestanden ist das Thema aber nicht: Kommissionspräsident Barroso hat für 2011 eine Gesetzesinitiative für eine EU-Steuer angekündigt.

Mit dem Begriff "EU-Steuer" lässt sich auch eine vernünftigere Idee verbinden. Derzeit wird der EU-Haushalt über Beiträge der Mitgliedstaaten finanziert. 2010 sind es 123 Milliarden Euro. Deutschland zahlt davon knapp 25 Milliarden Euro. Gemäß EU-Vorschrift bemisst sich ein Teil dieses Geldes nach dem Mehrwertsteueraufkommen, der Löwenanteil nach der Höhe des Bruttosozialprodukts. Beide Teile werden in Deutschland aber unauffällig aus dem Bundeshaushalt abgezweigt. Das ist ziemlich intransparent. Kaum ein Bürger weiß daher, was ihn die EU kostet.

Es ginge auch anders. Vorbild ist der deutsche Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuerschuld. Er wurde nach der Wiedervereinigung eingeführt, statt die Einkommensteuer zu erhöhen, und soll dem Steuerzahler eine Idee vermitteln, was ihn die Wiedervereinigung kostet (wobei die tatsächlichen Kosten deutlich höher liegen). Ähnliches ist auch für die Kosten der EU möglich: ein vom einzelnen Mitgliedstaat erhobener EU-Soli.

Über welche Höhe reden wir? Für 2010 wird ein deutsches Einkommensteueraufkommen von 160 Milliarden Euro erwartet. Wenn 25 Milliarden Euro an die EU fließen, muss der EU-Soli – bei entsprechender Absenkung der "normalen" Einkommensteuer – 18,5 Prozent betragen. Ein EU-Soli zeigt jedem Bürger auf seinem Steuerbescheid, wie viel Steuern er für den deutschen Staat und wie viel Steuern er für die EU bezahlt. Damit wird ihm klar, was ihn eine Aufstockung des EU-Haushalts kostet. Denn gegebenenfalls muss der Soli angehoben werden. Mehr Belastungen lassen sich nicht mehr im Bundeshaushalt verstecken.

Eine neue Eigendynamik permanenter Steuererhöhungen tritt – anders als bei der vom EP geforderten EU-Steuer – nicht ein. Denn die Höhe des deutschen Beitrags wird weiter wie bisher berechnet. Der EU-Soli macht diese Höhe nur transparent. Also: Statt einer EU-Steuer der EU wäre eine EU-Steuer der Mitgliedstaaten, ein EU-Soli durchaus sinnvoll. Könnte es aber sein, dass die Politiker gar kein Interesse daran haben, dem Bürger offenzulegen, was die EU kostet, und deshalb diese Kosten lieber verschleiern?

Lüder Gerken ist Vorsitzender des Centrums für Europäische Politik in Freiburg