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Wie sich der Start-Vertrag mit Russland in die US-Außenpolitik einordnet Der Fokus Washingtons liegt auf Asien

28.12.2010, 04:24

Von Steffen Honig

Noch ist der Start-Vertrag zwischen den USA und Russland nicht ratifiziert. Die russische Staatsduma stößt sich an einer Zusatzresolution, die die US-Republikaner als Anhang haben wollten, um sich ein Hintertürchen für ein mögliches Raketenabwehrsystem aufzuhalten. Das sind diplomatische Feinheiten, die die erste Übereinkunft zur atomaren Abrüstung seit 1991 (!) nicht mehr gefährden dürften.

Zu groß ist das Interesse Washingtons und Moskaus am Start-Vertrag. Über den rein militärischen Aspekt hinaus ist er ein Signal, dass die Feindschaft aus den Zeiten des Kalten Krieges endgültig der Kooperation weichen soll. Nicht nur zwischen den beiden Ländern, sondern auch zwischen Russland und der NATO insgesamt. Mittlerweile werden sogar Modelle einer Integration Russlands in die nordatlantische Allianz diskutiert. Ganz sicher kein Tagesthema, aber eines für die nächsten Jahre. Wer hätte eine solche Idee noch zu Zeiten des Kaukasus-Krieges 2008 überhaupt offen auszusprechen gewagt?

Nach dem russischen Einmarsch in Georgien vor zweieinhalb Jahren herrschte tiefste Eiszeit zwischen Kreml und Weißem Haus. Doch seit Barack Obama als Präsident die Geschicke Amerikas lenkt, haben Pragmatismus und Partnerschaftsbemühungen die starre Konfrontation abgelöst.

Keine Friedenstauben

Nicht, weil die derzeitige US-Administration unbedingt Friedenstauben auf dem Roten Platz landen will: Amerika hat andere Sorgen, als sich einen atomaren Rüstungswettlauf mit dem alten Gegner zu liefern. Der Kristallisationspunkt der amerikanischen Außenpolitik hat sich von der nördlichen Hemisphäre mit Europa und Russland nach Asien verlagert. In den fernen Osten also aus europäischer Sicht, was für die USA allerdings der nahe Westen ist.

Um Einfluss und Macht auf dieser Welt streitet Amerika heute zuallererst mit China. Zum asiatischen Riesen haben die USA ein ambivalentes Verhältnis. Da ist die ökonomische Symbiose: Die Volksrepublik überschwemmt den US-Markt mit Waren, die USA überschwemmen China mit Dollars. Das führt zu einer Schieflage, die immer schwerer beherrschbar wird.

Die USA werden nach Schätzungen allein in diesem Jahr rund 1,5 Billionen Dollar neue Schulden aufnehmen. Zum Vergleich: Das ist fast das Doppelte der bis 2013 terminierten und heiß umstrittenen Garantiesumme für den gesamten Euro-Rettungsschirm!

Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten stehen im Gegensatz zu den politischen Differenzen beider Mächte. China ist die Vormacht in Asien – und wird dies zunehmend auch in Afrika. Der asiatische Raum ist jedoch auch für die USA von existenzieller Bedeutung. Sie wollen und müssen teilhaben an der dortigen Wirtschaftsdynamik, weil sie derzeit davon zu Hause nur träumen können.

Krisengürtel in Asien

In Asien liegen mit Irak und Afghanistan die Schauplätze der amerikanischen Kriege des ausgehenden Jahrzehnts. Asien durchzieht auch der weltweit brisanteste Krisengürtel von Nordkorea über Pakistan und Iran bis nach Nahost.

Sorgen bereitet der Obama-Regierung auch die wachsende Militärmacht Chinas. Jeder Volkskongress beschließt eine Steigerung der Verteidigungsausgaben, meist in zweistelliger Prozenthöhe.

Bisher ist die chinesische Politik zwar grundsätzlich auf Deeskalation ausgerichtet. Seit der Auseinandersetzung mit Vietnam vor rund 30 Jahren war die Volksrepublik in keinen Krieg mehr verwickelt. Aber wer weiß schon, ob das immer so bleibt?

Deshalb ist das heutige Putin/Medwedew-Russland für das Schicksal der USA nur in sofern wichtig, wie Moskau als Anrainer der amerikanischen Einflusssphäre im Sinne Washingtons nützlich sein kann.

Und Europa, das für Amerika in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus noch die entscheidende Weltregion war, spielt eine ähnliche untergeordnete Rolle in der US-Strategie. Im NATO-Verbund werden die europäischen Partner immerhin noch gebraucht. Aber bereits da rümpft Washington angesichts des geringen europäischen Enthusiasmus’ bei Kriegseinsätzen regelmäßig die Nase.

Mit besonderer Skepsis betrachten die USA die Europäische Union. Vor allem deren chronische Entscheidungs- schwäche ruft jenseits des Atlantiks nur Kopfschütteln hervor. Da kann man die Amerikaner sehr gut verstehen.