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Barack Obama muss sich nach der Schlappe bei den Kongresswahlen neu erfinden Der große Reformer kommt mit dem Olivenzweig

04.11.2010, 04:14

Von Peer Meinert

Die Wahllokale im ganzen Land hatten noch nicht geschlossen, da gab der "neue Obama" ein erstes Rauchzeichen. Er sei bereit, mit den Republikanern zusammenzuarbeiten. Man müsse eine gemeinsame Basis finden. Es gehe um Amerika.

Die Mitteilung des Weißen Hauses ist gerade mal drei dünne Zeilen lang – doch was sie verkündet, ist nichts anderes als das Ende der Reform-Ära des ersten schwarzen Präsidenten der US-Geschichte. Millionen Amerikaner fragen sich: Was nun?

Kein Zweifel: Obama ist tief gefallen. Experten errechnen, es handele sich um die größte Niederlage im Abgeordnetenhaus seit 1948. Zwar gelang es den Demokraten, die Mehrheit im Senat knapp zu halten – doch im Grunde genommen sind die schlimmsten Befürchtungen eingetreten. Nach der Wahlnacht ist Obama nicht mehr der, der er war. Das Projekt "Change" (Wandel) wird erst einmal zu den Akten gelegt.

Selten haben die USA nach einer Präsidentenwahl einen derart raschen und derart tiefgreifenden Stimmungsumschwung erlebt: Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren – es war am 4. November – schien das ganze Land im Taumel: Der erste schwarze Präsident, ein "neuer Kennedy", alles schien möglich. "Yes, we can."

Doch es dauerte keine zwölf Monate, da hatte sich der Wind gründlich gedreht. Flaue Wirtschaft, mangelnde Jobs – und dann die demagogische und knallharte Fundamentalopposition der Tea-Party Bewegung ließen den Präsidenten seltsam blass und wirkungslos erscheinen.

"Der Präsident ging durch den Fleischwolf von Washington", nennt das der Meinungsforscher John Zogby. Das aggressive und "supererhitzte Politklima" habe Obama schlichtweg aufgerieben. Das "Wall Street Journal" drückte das unlängst ein wenig anders aus: Wieder einmal werde deutlich, "dass Amerika nicht von links regiert werden kann".

Und nun? Längst werden im Weißen Haus Szenarien für den "Tag danach" durchgespielt. Das Bekenntnis zur Zusammenarbeit ist der erste Schritt von "Obama II". Schon spricht Experte Zogby vom "Olivenzweig des Präsidenten", andere verweisen auf das "Modell Clinton".

Bill Clinton hatte nach seinen ersten zwei Jahren im Weißen Haus 1994 ebenfalls eine saftige Niederlage eingefahren. Er reagierte prompt, ging auf Schmusekurs zu den Republikanern, verkniff sich weitere Groß-Reformen – und wurde zwei Jahre später als Präsident wiedergewählt.

Doch ob das "Modell Clinton" diesmal wieder verfängt ist fraglich. Statt Zusammenarbeit zwischen den Lagern befürchten viele eher Stillstand und Blockade – nicht gerade beruhigende Aussichten für eine Weltmacht.

Erste vollmundige Erklärungen von radikalen Tea-Party-Gewählten, die sich "unser Land zurückholen" wollen, lassen nichts Gutes erahnen, deuten eher auf Fundamentalopposition denn auf Kompromiss hin. Führende Republikaner machen bereits klar, dass sie nur ein einziges Ziel haben: Dass Obama ein "one-term-president" wird – ein Präsident, der lediglich eine Amtszeit im Weißen Haus bleibt.

"Ich bin skeptisch, ob es echte Zusammenarbeit geben wird", meint der Politexperte John Fortier. Zu stark sei die Polarisierung zwischen den Parteien bereits fortgeschritten. Außerdem zeichne sich bereits jetzt der Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs ab. Schlechte Vorzeichen für eine Entspannung zwischen den Fronten.

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Auch Obama wird jetzt vor allem das Jahr 2012 ins Auge fassen. Schon jetzt steht fest, dass bereits Anfang des Jahres sein engster Berater David Axelrod aus dem Weißen Haus ausscheidet. Axelrods Aufgabe: Obamas Wiederwahl in zwei Jahren vorzubereiten. Erste Experten fürchten einen Marathonwahlkampf – die Bereitschaft zu Kooperation und Kompromiss droht dabei bald unterzugehen. (dpa)