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Die Politik gerät bei Atommüll-Entsorgung an ihre Grenzen Röttgen kommt ins Wendland, wenn die Proteste vorbei sind

Von Georg Ismar 09.11.2010, 04:15

Natürlich kam er nicht. Nach der 19-stündigen Schienenblockade von tausenden Demonstranten forderte Jochen Stay, einer der Köpfe der Anti-Atom-Bewegung, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) müsse sofort ins Wendland kommen. Der massive Castor-Protest zeige, so gehe es nicht weiter. Doch Röttgen ließ aus Berlin nur ausrichten, er werde noch dieses Jahr erscheinen.

Er, der angesichts von Stuttgart 21 eine Sprachlosigkeit der Politik gegenüber den Bürgern kritisiert, wird Worte finden müssen, wie es nun in Gorleben weitergehen soll. Gerade weil der Protest sich nicht einfach kriminalisieren lässt, betonen die Castor-Gegner.

Zwar gab es heftige Ausschreitungen am Sonntagmorgen durch zugereiste Autonome, aber angesichts der friedlichen Gleisblockade spricht Stay von "einer Sternstunde" des gewaltfreien Widerstands und so viel Unterstützung wie nie für die Wendländer.

Einmal mehr hat der Castor offenbart, dass die ungelöste Atommüll Entsorgung das größte Problem der Kernenergie ist. Der Staat kommt hier an seine Grenzen – so viel bürgerlicher Widerstand lässt sich nicht einfach ignorieren. Mit jedem weiteren Castor, der ins Zwischenlager nach Gorleben kommt, sehen die Wendländer ein weiteres Faktum dafür, dass der Atommüll am Ende auch in ihrer Erde vergraben wird. Der Salzstock liegt nur ein paar hundert Meter entfernt vom oberirdischen Zwischenlager.

Rebecca Harms, Europaabgeordnete der Grünen und im Wendland verwurzelt, kennt wie kaum eine zweite die 33 Jahre währende Debatte um ein mögliches Endlager in Gorleben. Sie sieht müde aus am Montag. Tags zuvor war sie von 8 morgens bis 3.30 in der Nacht im Wald unterwegs, um die Castor-Proteste an den Schienen zu beobachten.

Es ist ungewöhnlich, dass ausgerechnet Demonstranten wie Harms den Polizeieinsatz bei der Räumung der Rekordblockade im Gleisbett loben. Sie bricht eine Lanze für die Beamten, die bis zu 40 Stunden im Einsatz gewesen seien. Nur bei den Ausschreitungen der Autonomen seien die Beamten wahllos auch gegen die große gewaltfreie Mehrheit der Castor-Gegner vorgegangen.

Neben den ausufernden Strapazen für die Polizisten geht es um die Kosten des Einsatzes – von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede.

Röttgen betont wie auch sein Grünen-Vorgänger Jürgen Trittin, dass Deutschland zur Rücknahme des Atommülls aus der Wiederaufarbeitung im Ausland verpflichtet sei. Röttgen findet die Instrumentalisierung des Castor-Protests durch die Grünen daher höchst unredlich. Greenpeace fordert, den Müll statt nach Gorleben gemäß dem Verursacherprinzip zu den AKWs zu bringen, wo er erzeugt wurde.

Röttgen setzt bei der Erkundung des Salzstocks für ein mögliches Endlager Gorleben wie die CDU vor der Zeit von Rot-Grün wieder auf Enteignungen als Ultima Ratio. Nach zehnjähriger Unterbrechung hatte er zum 1. Oktober die Wiederaufnahme der Prüfung Gorlebens verfügt.

Und da er gegen die Vorschläge des Bundesamts für Strahlenschutz nach altem niedersächsischen Bergrecht erkunden lässt, ist eine Beteiligung der Bevölkerung zunächst ausgeschlossen. "Wir lassen uns nicht verröttgen", heißt es auf einem Protestbanner im Wendland.

Harms sagt, Röttgen schotte sich ab. Er gebe den "starken, jungen Reformer der CDU", verfolge aber eine Augen-zu-und-durch-Strategie. Er lasse den früheren Eon-Manager Gerald Hennenhöfer als Abteilungsleiter im Umweltministerium für Reaktorsicherheit die Konzepte der Atomindustrie durchsetzen.

Diese hat bisher 1,5 Milliarden Euro in den Salzstock Gorleben investiert und hält ihn trotz vieler Bedenken für sicher, um die heiße, strahlende Fracht für Millionen Jahre sicher zu verschließen. Harms sagt, sie könne nicht verstehen, dass die Politik beim Bahnprojekt Stuttgart 21 auf die Bürger zugehe, bei Gorleben aber der politische Wille seit 33 Jahren einfach durchgedrückt werde.

Röttgen betont, die Suche sei ergebnisoffen. Nun wird aber immer vehementer eine bundesweite Endlagersuche gefordert – doch Bayern und Baden-Württemberg gehen dagegen auf die Barrikaden. Die Bürger im Wendland erwarten nicht, dass es dazu kommen wird, sie haben einen eigenen Vorschlag, wie an einer Straße zu lesen ist: "Endlager gesucht? Kanzleramt!"(dpa)