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Gastbeitrag zur Integrationsdebatte Einwanderungspolitik ist keine Gefühlsduselei

16.10.2010, 04:14

Von Peter Heine

Deutschland ist kein Einwanderungsland." Wie in einem Mantra haben (west)deutsche Politiker seit den 1970er Jahren auf die Forderung nach einer überlegten Einwanderungspolitik und entsprechenden Integrationsprogrammen reagiert. Eben diese Politiker wandten sich auch gegen eine "durchrasste und durchmischte" Gesellschaft, um dann einige Jahre später die Entstehung von "Parallel-Gesellschaften" zu beklagen.

Der sukzessive Zuzug von mittlerweile mehr als vier Millionen Menschen aus einem durch den Islam geprägten Kulturkreis lässt sich aber nicht nach einem Prinzip des Laissez-faire organisieren. Heinz Kühn, der erste Ausländer-Beauftragte der Bundesregierung hatte noch gemeint: "So wie wir die Polen im Ruhrgebiet integriert haben, werden wir auch die Türken integrieren." Eine Integrationspolitik gegenüber polnischen Migranten nach Gelsenkirchen oder Essen hatte es aber auch nie gegeben.

Aderlass an Akademikern

Die grundsätzlichen Bedingungen bei der Einwanderung von Muslimen stellen sich zudem anders als bei der polnischen Einwanderung dar. Das Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg hatte nicht die demografischen Probleme, denen wir uns heute gegenüber sehen. Um das demografische Gleichgewicht wieder herzustellen, braucht Deutschland eine jährliche Zuwanderung von einer hal- ben Million Menschen. Derzeit gibt es jedoch eine negative Zuwanderung. Jahr für Jahr verlassen z. B. 20000 akademisch ausgebildete junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund Deutschland, um in den großen Städten der Türkei oder in den Boomtowns der Arabischen Emirate ihr gedeihliches Auskommen zu suchen.

Sie stammen aus der Gruppe der 85 bis 90 Prozent muslimischen Migranten, die deutlich integrationswillig sind. So ganz freiwillig gehen sie nicht. Vielmehr haben sie lange in Deutschland vergeblich nach adäquaten Positionen gesucht. Sie wurden mit schlecht ausgebildeten, in traditionellen Verhältnissen lebenden Menschen gleichgesetzt, weil sie ähnliche Namen haben oder aus einem muslimischen Land stammen. Leider hat keiner von ihnen bisher auf Gleichbehandlung geklagt.

Manche Politiker meinen, dass das demografische Problem und die fehlenden Facharbeiter sich mit der bevorstehenden Freizügigkeit im Schengen-Raum lösen wird. Neueste Berechnungen zeigen, dass auch dieser Zuzug nicht genügen wird. Verschwiegen wird zudem, dass die von diesen Zuzüglern erarbeiteten Sozialbeiträge vielleicht in die hiesigen Sozialkassen eingezahlt werden. Aber werden polnische Restauratoren oder tschechische Mechatroniker auf Dauer in Deutschland bleiben? Sie werden ihre Rentenanwartschaften wohl eher mitnehmen zurück in ihre Heimatländer. Für die deutschen Sozialkassen ist damit nichts gewonnen.

Islamophobie schadet

Die wachsende Islamophobie unter Deutschen wird übrigens auch in islamischen Ländern aufmerksam wahrgenommen. Die dort vorhandene traditionelle Deutschfreundlichkeit nimmt mehr und mehr ab. Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind voraussagbar. Großprojekte wie der Bau einer Eisenbahn in Katar durch die Deutsche Bahn werden in Zukunft auf den Deutschenbonus verzichten müssen. Die Exporte von deutschen Industrie- und Konsumgütern in einen Markt von weit über einer Milliarde Muslimen wird unter diesen Umständen sicher nicht einfacher. Kann die deutsche Wirtschaft diesen Markt den aufstrebenden Konkurrenten wie Brasilien, Indien oder China überlassen?

Das sind ganz harte realpolitischen Gründe, die Politiker und Publizisten motivieren sollten, für eine konkrete Einwanderungs- und Integrationspolitik einzutreten. Mit multi-kultureller Romantik oder Gefühlsduselei hat das nichts zu tun.

Prof. Peter Heine ist Islamwissenschafter