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Der Bundestagsabgeordnete Burkhard Lischka ist zurück von einer Reise in die Hochwassergebiete Pakistans Pakistan steht am Scheideweg

28.10.2010, 04:14

Soeben ist eine Delegation von Bundestagsabgeordneten von einer Reise nach Pakistan und Afghanistan zurückgekehrt. In Pakistan verschafften sich die Politiker u. a. einen Überblick über die Lage im Land. Dabei ging es um mehr als um Fluthilfe. Mitgereist war der Magdeburger SPD-Abgeordnete Burkhard Lischka. Mit ihm sprach Gerald Semkat.

Volksstimme: Herr Lischka, Sie waren mit einer deutschen Parlamentarier-Delegation in Pakistan. Wie ist dort die Lage drei Monate nach dem Beginn der Flut, die eine Fläche so groß wie England überschwemmte und von der 17 Millionen Menschen betroffen waren?

Burkhard Lischka: Wir sind sowohl im Norden als auch im Süden des Landes gewesen. Im Süden, in der Provinz Sindh am Indusfluss, steht das Hochwasser teilweise noch meterhoch und es gibt viel Ratlosigkeit darüber, wie man die Wassermassen abpumpen kann. Dort haben wir uns ein Flüchtlingslager angesehen, das die Regierung Saudi-Arabiens gebaut hat, und eines, das betroffene Pakistaner für sich selbst am Straßenrand eingerichtet hatten. Wir hatten den Eindruck, dass die Soforthilfe bei den Menschen ankommt - auch die 35 Millionen staatlicher deutscher Hilfe und die 161 Millionen, die die deutsche Bevölkerung gesammelt hat.

Volksstimme: Auch in dem Lager am Straßenrand?

Lischka: Als wir dort waren, wurde gerade gekocht. Das ist natürlich nur eine Momentaufnahme, aber die Leute dort bestätigten, dass Nahrungsmittel ankommen und der Wasserwagen zweimal täglich frisches Wasser bringt.

Volksstimme: Und im Norden?

Lischka: Dort, wo die Flutwelle ganze Dörfer zerstört und massive Betonbrücken und Häuser mit sich gerissen hatte, haben Bauern, sobald es wieder ging, Bewässerungssysteme wieder instand gesetzt und ihre Felder bestellt, um die nächste Ernte zu sichern. Sie unterliegen dabei zusätzlich der Belastung, die sich aus dem feudalen System in Pakistan ergibt.

Volksstimme: Wie ist das zu verstehen?

Lischka: Die Lebensgrundlage der Bauern ist der Boden, den sie bearbeiten, der aber Großgrundbesitzern gehört und die dafür Abgaben verlangen – auch bevor der Bauer überhaupt geerntet hat. Uns wurde berichtet, dass Grundbesitzer selbst angesichts der Katastrophe nicht bereit waren, auf solche Vorauszahlungen zu verzichten oder diese zumindest zu stunden.

Volksstimme: Wie kann man den Bauern helfen?

Lischka: Sie brauchen noch drei, vier Monate lang Nahrungsmittel, damit sie den Rücken frei haben, um auf dem Feld arbeiten zu können und ihre Häuser aufzubauen.

Volksstimme: Und dann?

Lischka: Pakistan steht am Scheideweg. Es ist ja nicht nur so, dass man von der Regierung dort wenig Konkretes über Vorstellungen hört, wie das Land wieder aufgebaut werden soll. Pakistan hat eine Steuerquote von lediglich neun Prozent, eine der niedrigsten weltweit. Großgrundbesitzer zahlen keine Steuern – die kleinen Arbeiter und Angestellten tragen die Steuerlast. Und von der Regierung erzählt man sich, dass nur ein einziger Minister Steuern zahlt. Es gibt Leibeigenschaft im Land, und die Korruption blüht. Wenn also internationale Hilfe beim Wiederaufbau wirklich dort ankommen soll, wo sie gebraucht wird, dann nur, wenn zugleich soziale und politische Reformen in Angriff genommen werden. Darauf muss die internationale Gemeinschaft entschieden drängen.

Volksstimme: Und die Armee? Die ist in Pakistan ein starker Machtfaktor.

Lischka: Das Ansehen des Militärs ist in der Bevölkerung gestiegen. Das liegt einfach daran, dass sie in einzelnen Landesteilen während der Flut offensichtlich effizient geholfen hat.

Volksstimme: Ist das gut oder schlecht für Reformen?

Lischka: Mir hat ein pakistanischer Politiker gesagt: Machen Sie mal Reformen, wenn ihnen andauernd das Militär im Nacken sitzt. In der 63-jährigen Geschichte Pakistans hat 34 Jahre lang das Militär regiert. Sie sind aus meiner Sicht deshalb mitverantwortlich für die Misere, in der sich Pakistan auch ohne die Flut befunden hat. Pakistan ist ein Staat mit schwachen Strukturen, und das erschwert die Hilfe jetzt ganz besonders.

Volksstimme: Wissen die Pakistaner, woher die Hilfe kommt?

Lischka: Ja. Und die deutsche Bevölkerung hat als weltweit größter privater Geldgeber einen guten Ruf.

Volksstimme: Wer am meisten hilft und zahlt, der gewinnt also die Herzen und Köpfe der Menschen?

Lischka: Schon, aber das ist arg vereinfacht. Es geht um die Zukunft Pakistans. Es geht eben nicht nur um Fluthilfe, sondern um die entscheidende Frage, ob die Atommacht Pakistan nach dieser Katastrophe im extremistischen Sumpf versinkt. Deshalb ist es von ganz entscheidender Bedeutung, wer beispielsweise die Schulen wieder aufbaut: Schafft das die pakistanische Regierung, unterstützt durch uns, nicht, dann werden das die Taliban machen. Dann steuern wir allerdings auf ein Fiasko zu.