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Am Donnerstag wählen die Briten – der Wahlkampf ist selten spannend Die Tories sind stark, müssen aber zittern bis zum Schluss

Von Georg Kern 03.05.2010, 05:19

Die letzte Runde ging an David Cameron. Der Chef der konservativen Tory-Partei in Großbritannien hat das dritte TV-Duell der Spitzenkandidaten für die Parlamentswahl am Donnerstag gewonnen. Laut Umfragen liegt er vor seinen beiden Herausforderern, dem Liberaldemokraten Nick Clegg und dem amtierenden Labour-Premierminister Gordon Brown. Ist das schon die Entscheidung?

Nicht unbedingt. Alles scheint noch möglich in diesem spannenden, ungewöhnlich überraschungsreichen Wahlkampf. Selbst ein Premierminister Brown, obwohl Labour laut Umfragen derzeit nur an dritter Stelle liegt – noch hinter den Liberaldemokraten, die seit Jahrzehnten in der britischen Politik keine tragende Rolle mehr gespielt haben.

Bleierne Zeit

Großbritannien im Umbruch, bleiern lastet die Wirtschaftskrise auf dem Land – viel schlimmer als in Deutschland oder Frankreich. Die Arbeitslosigkeit liegt auf Rekordhoch, die Staatsverschuldung ist zum Fürchten. 2010 könnte sie, prozentual gemessen am Bruttoinlandsprodukt, höher ausfallen als Griechenlands. Beunruhigende Aussichten sind das, die ihre Spuren in der Politik hinterlassen mussten.

Und so sind die erste und zweifellos größte Überraschung des Wahlkampfs Nick Clegg und seine Liberaldemokraten. Eine alte Partei, die lange als "ewige Dritte" in Großbritannien belächelt wurde, weil sie - im Gegensatz zu den Tories oder Labour – seit den 1970er Jahren nicht mehr an die politische Macht gelangt ist, jedenfalls nicht auf höchster Ebene in Großbritannien.

Das hat auch mit dem Wahlsystem zu tun. In Großbritannien gilt bekanntlich das Mehrheitswahlrecht, das heißt: Anders als beispielsweise in Deutschland (wo das sogenannte personifizierte Verhältniswahlrecht gilt) finden viele Stimmen, die Wähler für kleine Parteien abgeben, keine parlamentarische Repräsentation. In den Wahlkreisen gilt das Prinzip "First past the post" – wer die meisten Stimmen erhält, bekommt das Mandat, darf den Wahlkreis also alleine im Unterhaus vertreten.

Ungerecht könnte man sagen, das System hat aber auch Vorteile: Es sorgt für klare Mehrheiten im Parlament. So konnten in den vergangenen Jahrzehnten entweder Tories oder Labour das Land alleine regieren. Konfliktreiche Koalitionsbildungen wie wir sie auch aus Deutschland kennen, sind den Briten weitgehend unbekannt.

Diesmal könnte es anders kommen. Zwar liegen die Tories nach den jüngsten Umfragen vorne, es fehlt ihnen allerdings eine absolute Mehrheit – "hung parliament", "hängendes Parlament" nennen die Briten diese Situation, in der keine Partei ausreichend Mandate hat, um alleine zu regieren. Daher könnten die Tories nach der Wahl auf eine Koalition mit den Liberaldemokraten angewiesen sein. Sollten die allerdings zweitstärkste Kraft werden, so könnte Clegg möglicherweise Premierminister werden – in einer Koalition mit Labour. Wie realistisch ist also ein Regierungsbündnis zwischen Tories und "Libdems", wie Cleggs Partei auch genannt wird?

Die neue Stärke der Liberaldemokraten – sie verändert die jahrzehntealte typische Wahl-arithemtik des Landes. Es scheint, als gelänge es Cleggs Partei, das Tory-Labour-Macht-Duopol aufzubrechen, was ein klares Signal der britischen Wähler wäre: Sie sind offenbar höchst unzufrieden mit der Politik der etablierten Parteien, und trotz der Tatsache, dass mit den Tories eine Alternative zu Labour bereitsteht, auf der Suche nach neuen Konzepten und Persönlichkeiten.

Ein Armutszeugnis

Die Stärke der Libdems ist daher nicht nur ein Armutszeugnis für Browns Partei, die seit 1998 regiert. Sondern auch für die Tories, die für die Mehrheit der britischen Wähler die natürliche Alternative sein müssten.

Sind sie aber nicht, weshalb Cameron als Vorsitzender innerparteilich nicht unumstritten ist. In den vergangenen Jahren hat er die Konservativen weit in die politische Mitte geführt – er betont etwa Sozialstaatlichkeit oder Ökologie. Damit will er die Tories endlich aus dem Schatten ihrer ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher führen, die das Land einst mit eiserner Hand reformierte.

Sozialstaatliche Kälte ist wohl das Letzte, wonach sich viele Briten in der Krise sehnen. Für Cameron wird es daher entscheidend sein, inwiefern er das Odium der Thatcher-Jahre abstreifen kann. Als inhaltlich problematisch könnte sich auch noch der europakritische Kurs seiner Partei erweisen. Die Libdems, die auch sonst eher Labour zugeneigt sind, sind europafreundlich orientiert. Nicht auszuschließen also, dass die Tories selbst dann auf der Oppositionsbank landen, wenn sie größte Fraktion werden. Da hätte dann auch Camerons klarer Sieg in der letzten TV-Debatte nicht geholfen.