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Der frühere DDR-Oppositionelle und Gründer der SDP Markus Meckel über Revolution und Wendezeit "Wir wollten die Machtfrage stellen"

06.05.2010, 05:16

Von Georg Kern

Zwanzig Jahre sind viel Zeit – und dann auch wieder nicht. Wie präsent die politische Wende von 1989/90 bei vielen ist, wird am Dienstagabend in der Magdeburger Stadtbibliothek am Breiten Weg deutlich.

Eine Ausstellung wird eröffnet, die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung informiert noch bis zum 27. Mai auf 30 Stellwänden über die Neuanfänge der Sozialdemokratie in Ostdeutschland zur Wendezeit. Mit dabei ein wichtiger Protagonist dieser Entwicklung: Markus Meckel.

Am Dienstag trägt er einen braunen, etwas aus der Mode geratenen Anzug und eine rote Krawatte. Er sieht ganz anders aus als auf einem Foto der Ausstellung, das ihn mit langem Rauschebart und Strickjacke zeigt. Die Aufnahmen erinnerten ihn an einen "Waldschrat", sagt Meckel und bringt damit die rund 50 Besucher der Veranstaltung zum Lachen.

Vieles fließt zusammen

Damals, zur Wendezeit, leitete Meckel die Ökumenische Begegnungs- und Bildungsstätte in Niederndodeleben bei Magdeburg. Gemeinsam mit Martin Gutzeit, der wie Meckel Theologie studiert hatte, initiierte er die Gründung der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). Später saß sie mit am Runden Tisch, der sich unter anderem die Organisation freier Wahlen zum Ziel gesetzt hatte. Im September 1990 fusionierte die Partei mit der westdeutschen SPD (siehe Kasten).

"Bei der SDP-Gründung hatten wir kein richtiges Leitbild", sagt Meckel während seines Vortrags zur Ausstellungseröffnung. Man habe sich weniger an Politikern wie Willy Brandt orientiert. "Vielmehr wollten wir endlich aus der Provinzialität der DDR ausbrechen" – und die Sozialdemokratie sei nun mal eine internationale Bewegung. "Mit der Parteigründung setzten wir uns selbst in einen internationalen Kontext", erläutert Meckel. Man habe nicht mehr "Opfer der Produktiventwicklungen in der DDR" sein wollen, sondern "Subjekt" werden wollen.

Anders als andere DDR-Oppositionelle zielten Meckel und Gutzeit, die sich schon seit den 1970er Jahren in regimekritischen Kreisen bewegten, darauf ab, über die Gründung einer losen Bewegung oder Gruppe hinauszugehen. "Wir wollten ganz bewusst eine politische Partei sein. Wir wollten die Machtfrage stellen." Es sei dabei auch um Symbolik gegangen: Man habe aus dem stilisierten Händedruck von SPD und KPD im SED-Logo "eine Hand herausziehen wollen", um so den Zwangscharakter der Fusion von 1946 bloßzustellen.

Im Juli 1989 habe man in Niederndodeleben einen Aufruf zur Gründung der SDP verfasst, erläutert Meckel. Die Nachricht habe sich damals schnell verbreitet, sagt der SPD-Politiker Rüdiger Fikentscher, Vizepräsident des Landtages, der die Veranstaltung moderiert. "Ich habe gedacht, Donnerwetter! Das ist mutig." Die SDP-Gründung werde für immer eine Ruhmestat bleiben, sagt Fikentscher, "bei allem was du, Markus, später noch gemacht hast".

Niederndodeleben, Magdeburg, Meckel, die Wende – vieles fließt jetzt zusammen in der Diskussion, die sich dem Vortrag anschließt. Offenbar alte Weggefährten melden sich zu Wort, berichten sichtlich bewegt von den Wirren der Wende, den Risiken und Hoffnungen. Vom "lieben Markus" ist viel die Rede, Sachsen-Anhalts SPD-Chefin Katrin Budde, Gründungsmitglied des Magdeburger SDP/SPD-Stadtverbandes, sitzt in der ersten Reihe. Der Ex-Oberbürgermeister der Domstadt Wilhelm Polte meldet sich zu Wort. Etwas später schaut SPD-Sozialminister Norbert Bischoff vorbei.

Die Stimmung ist Meckel sichtlich zugetan, es wird aber auch viel genickt, als Fikentscher auf das verweist, was nach dem Mauerfall teilweise noch folgte. Besonders harte Kritik muss sich Meckel etwa an seiner Zeit als DDR-Außenminister anhören.

Der Historiker Andreas Rödder beispielsweise schreibt in seinem Buch "Deutschland einig Vaterland", im Auswärtigen Amt habe die Unprofessionalität der DDR-Außenpolitiker für "distinguierte Verwunderung" gesorgt. "Die Bonner Diplomaten mokierten sich über ,Ex-Pfarrer Meckel und seine friedensbewegten Mitstreiter‘, die die ,alten Ziele der Friedensbewegung‘ verfolgten und ihnen in Birkenstock-Sandalen, Cordhose und Pullover begegneten", erläutert Rödder, wobei er prominente Zeitgenossen Meckels zitiert.

Idealistisch und naiv sei der Politiker aufgetreten. Mindestens eigenwillig sind auch einige von Meckels Analysen zum Verlauf der friedlichen Revolution, die der SPD-Politiker ausführt. Es habe ihn gestört, wie sich Kohl und Bush senior neben Gorbatschow kürzlich in Berlin wegen der Wiedervereinigung feiern ließen, sagt er etwa. Der Amerikaner habe doch viel weniger geleistet als sein sowjetischer Partner. Da fragt man sich schon, welche Rolle für Meckel die USA im Vereinigungsprozess spielten – und weshalb es seiner Ansicht nach überhaupt zur Perestroika-Politik in Moskau kam.

Von hinten überholt

Die Menschen dürften sich die Revolution nicht streitig machen lassen von der hohen Politik, sagt Meckel. Man spürt, wie es ihn schmerzt, dass Oppositionelle wie er während der friedlichen Revolution von den Massenprotesten überholt wurden. Während am Runden Tisch noch über Reformen im ostdeutschen Teilstaat debattiert wurde, forderten viele schon die deutsche Einheit, weil sie – so Meckel – den "Wohlstand des Westens" wollten.

Auch er habe Deutschlands Einheit befürwortet, versichert er. Nur eben etwas später. Die Revolution jedenfalls hätten "die Menschen auf der Straße" gemacht. Und darauf könne man stolz sein.