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Gastbeitrag von Dietrich Lührs zur Debatte um die Gemeinschaftsschule: "Schleichende Wandlung des Gymnasiums in eine Art Gesamtschule ist falscher Weg"

19.04.2010, 05:20

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 18.04.2010 22:00:00


Von Dietrich Lührs

Die Bildungsdebatte wird fast immer nach demselben Prinzip geführt. Zunächst werden PISA und andere Studien bemüht, um die Bildungsmisere in Deutschland aufzuzeigen, um dann in eine Strukturdebatte zu verfallen, die darauf abzielt, das Gymnasium als eine ungerechte Ausleseschule darzustellen, die vielen den Weg zu höherer Bildung verschließe. Gepriesen wird die Einheitsschule, ob nun bis Klasse 6, 8 oder 10. Unter dem Schlagwort "Längeres gemeinsames Lernen" soll sie das einzig wahre Mittel gegen den Bildungsnotstand in Deutschland sein.

Das Modell Gesamtschule in den alten Bundesländern fußte auf der Annahme, dass alle Menschen mehr oder weniger gleich begabt seien. Daraus zog man den Schluss, das Gymnasium dürfe nicht nur wenigen vorbehalten sein. Inzwischen ist wissenschaftlich hinreichend erwiesen, dass Menschen unterschiedlich begabt sind. Nicht nur für Spitzenbegabungen in Kunst, Wissenschaft und Sport gilt, dass Leistung neben Training und Üben vor allem auf Talent und auf Begabung zurückgehen. Das trifft ebenso auf die Frage von Leistungsfähigkeit an und für sich zu – ob nun im geistigen, handwerklichen oder künstlerischen Bereich.

Lernt der Schwache wirklich vom Starken?

Gleichwohl wird die Einheitsschule nach wie vor und immer stärker propagiert. Nun allerdings vor allem unter der sozial-romantischen These, dass der Schwache vom Starken lerne und umgekehrt. Diese These ist nicht belegt. Ihr zu widersprechen trauen sich dennoch nur wenige.

Von vielen unwidersprochen hingenommen wird auch die These, Deutschland brauche mehr Studenten. Weil die Zahl der Studierenden im Vergleich zu anderen Ländern zu niedrig sei, müsse die Zahl der Abiturienten noch gesteigert werden, heißt es. Doch das Problem ist nicht, dass wir zu wenige Abiturienten, sondern dass wir zu viele Studienabbrecher haben. Aus den Universitäten hören wir immer wieder, dass zu viele Studenten nicht ausreichend auf ein Studium vorbereitet sind. Aber auch aus allen anderen Bildungs- und Berufsbereichen erschallt die Klage, wir hätten zu wenig vorqualifizierte Auszubildende – vom Handwerker, über den Facharbeiter bis zum Akademiker.

Da stellt sich schon die Frage, warum man meint, den Bildungsnotstand durch Vereinheitlichung auf mittelmäßigem Niveau lösen zu können, wo bereits jetzt die Qualität der an Gymnasien und Gesamtschulen vergebenen Abschlüsse offenbar häufig nicht ausreicht. Schon jetzt besucht nahezu die Hälfte eines Jahrgangs in Sachsen-Anhalt das Gymnasium. Dabei hat ein nicht unerheblicher Teil der Gymnasiasten gar nicht vor zu studieren und bräuchte eigentlich kein Abitur. Zudem wollen oder können nicht wenige Schüler die Leistung erbringen, die für ein gutes Abitur notwendig wäre.

Mehr Abiturienten, die Studium nicht schaffen

Sie aber binden die Aufmerksamkeit von Lehrern zum Nachteil der Begabten und Lernwilligen. Für den eher schwächeren Teil der Schüler gibt es Fördermaßnahmen, die jedoch häufig nicht angenommen werden. Natürlich soll es individuelle Förderung geben, aber bitte auch für die Leistungsstärkeren. Die Qualität des Gymnasiums wird nicht besser, wenn peinlichst darauf geachtet wird, möglichst jeden mitzuziehen, anstatt sich auch auf die Leistungsstärkeren zu konzentrieren.

Wenn wir die Einheitsschule als die Lösung der Bildungsprobleme anstreben, wenn wir somit auf Quantität statt auf Qualität setzen, dann werden wir immer mehr Abiturienten bekommen, die nur noch in Teilen studierfähig sind. Denn Tatsache ist doch, dass Schulleiter, die die Leistungsanforderungen konsequent umsetzen, sich für erhöhte Sitzenbleiberquoten an ihren Schulen verantworten müssen.

Und Lehrer sehen sich häufig dem direkt oder indirekt gemachten Vorwurf ausgesetzt, für die schlechten Ergebnisse in ihren Klassen und Kursen in erster Linie selbst verantwortlich zu sein. Wer gute Noten gibt, hat Recht, wer schlechte Noten erteilt, kommt in Rechtfertigungszwang. Doch darüber traut sich keiner zu sprechen. Die Qualität vermittelter Bildung lässt sich aber nur sehr begrenzt an dem Notendurchschnitt der jeweiligen Lerngruppe festmachen.

Natürlich kann man verstehen, dass Schüler und Eltern die Anforderungen kritisieren, wenn sie sehen, dass man woanders leichter zu guten Noten kommt. Und gute Noten sind wegen des unzeitgemäßen Numerus clausus für viele Fächer immer noch ausschlaggebend für die Zulassung in einigen Studienrichtungen. Dennoch: Die schleichende Umwandlung des Gymnasiums in eine Art Gesamtschule mit einhergehender Absenkung der Anforderungen ist der falsche Weg, sich den gesellschaftlichen Erfordernissen zu stellen.

Sekundarschule droht Restschule zu werden

Denn dies schlägt durch zur Sekundarschule, die zur Restschule zu verkommen droht. Hier finden wir auch einen Teil der Erklärung dafür, warum Handwerksmeister und ausbildende Betriebe zunehmend beklagen, dass ihre Lehrlinge in der Schule zu wenig gelernt haben. Als Folge davon schicken Eltern ihre Kinder dann lieber auf das Gymnasium. Und sobald wieder der Elternwille über den Besuch der weiterführenden Schule entscheiden soll, müssen wir nicht mehr über die flächendeckende Einführung der Einheitsschule reden. Wir hätten sie bereits de facto, und zwar in Form von Gymnasien, die immer mehr die Mittelmäßigkeit pflegen müssen, anstatt Leistungsbereitschaft fordern und Leistung fördern zu können.

Es gilt zweierlei zu erreichen: Erstens müssen wir uns um die Qualität der Gymnasien kümmern, nicht aber darum, wie wir dort immer mehr Schüler durchziehen können. Zweitens müssen wir davon abkommen, das Abitur als einzig akzeptablen Abschluss direkt oder indirekt hinzustellen, der als alleiniger Weg zu einer adäquaten Bildung und Erfolg führe. Auch darf es nicht als Niederlage angesehen werden, "nur" auf die Sekundarschule zu gehen. Im Gegenteil, die Sekundarschule muss als ernstzunehmende Alternative gestärkt werden.

Durch die Forderung aber, dass immer mehr Schüler ein Abitur ablegen müssten, wird der Realschulabschluss nicht nur als weniger erstrebenswert dargestellt, sondern es wird für Schüler mit Realschul- bzw. Hauptschulabschluss immer schwieriger, sich auch dort, wo ihre Abschlüsse auf dem Papier ausreichen, gegenüber Mitbewerbern mit Abitur durchzusetzen. Das ist Bildungsungerechtigkeit höchster Ausprägung!

Die Sekundarschule muss also in ihrem Ansehen und inhaltlich-strukturell gestärkt werden. Auf jeden Fall sollte die Unterscheidung in Haupt- und Realschulgang bestehen bleiben. Völlig falsch und kontraproduktiv wäre es, die Sekundarschule inhaltlich ans Gymnasium anzunähern, wie dies im Zuge der Diskussionen im Bildungskonvent gefordert wurde.

Im Gegenteil, die Sekundarschule muss die Schulform der Berufsvorbereitung sein, so wie das Gymnasium die Schulform der Studienvorbereitung ist. Für Schüler beider Schulformen muss die bereits vorhandene Möglichkeit des Schulformwechsels konzeptionell noch verbessert werden.