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Teilzeitparlament Von Michael Bock Finger in die Wunde

17.03.2010, 05:19

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 16.03.2010 23:00:00
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat seine Sympathien für ein Teilzeitparlament im Land erkennen lassen. Dafür wird der Regierungschef jetzt parteiübergreifend in die Mangel genommen. Es überrascht schon, wie der Aufgeregtheitspegel im Landtag plötzlich nach oben schnellt. Die schrillen Töne befremden, viele Vorwürfe sind kurios oder einfach nur absurd. Die Debatte wird mit einer Leidenschaft geführt, die man mancher Diskussion im Parlament nur wünschen würde.

Was ist denn nur passiert? Böhmer hat einmal laut über die Rolle des Landtags nachgedacht. Dabei hat er durchaus berechtigte Fragen gestellt. Wer will denn ernsthaft bestreiten, dass die eigentlichen Aufgaben für ein Parlament in den zurückliegende Jahren kontinuierlich zurückgegangen sind? Die wirklich wichtigen Gesetze sind beschlossen, die Arbeit aller Landtage wird zunehmend durch Bundes- und Europarecht ausgehöhlt. Gelegentlich ist die Liste für den Wochenend-Einkauf spannender als die Tagesordnung einer Landtagssitzung. Kurzum: Die Parlamente können immer weniger in eigener Sache entscheiden. Ihr Einfluss schwindet.

Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, dass sich das Parlament nur noch mit sich selbst beschäftigt. Es wird nicht selten über Dinge diskutiert, die für die Zukunft des Landes überhaupt keine Bedeutung haben. Vor diesem Hintergrund ist es absonderlich, ausgerechnet Böhmer vorzuwerfen, Politikverdrossenheit zu fördern und der Demokratie zu schaden. In diesem Zusammenhang sei an eines erinnert: Schon im Jahr 1997 hat der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Curt Becker, ein erfahrener und anerkannter Parlamentarier, ein Freizeitparlament vorgeschlagen. Es blieb alles beim alten – dennoch sanken in den Folgejahren das Ansehen der Politiker ebenso wie die Wahlbeteiligung.

Natürlich weiß auch Böhmer, dass Parlamente in der Lage sein müssen, die Regierung und den Beamtenapparat zu kontrollieren. Natürlich weiß auch er, dass Abgeordnete in ihrem Wahlkreis präsent sein müssen. Aber das kann doch nicht heißen, dass damit Denkverbote hinsichtlich der Rolle des Parlaments begründet werden. Böhmer hat den Anstoß für eine interessante Debatte gegeben. Der Ministerpräsident hat völlig zu recht seinen Finger in die Wunde gelegt. (Seite 1)