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Die Wirtschaftskrise setzt den Konservativen in Großbritannien schwer zu Taumeln auf der Zielgeraden: Tories fürchten um Wahlsieg

Von Georg Kern 17.03.2010, 05:19

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 16.03.2010 23:00:00


Das hatte sich David Cameron sicher anders vorgestellt. Da unternimmt der Chef der konservativen Oppositionspartei alles, um seinen Tories den Vorwuf der sozialen Kälte zu ersparen. Und dann brechen die Umfragewerte kurz vor der Parlamentswahl ein.

Augenreiben in Großbritannien, der Wahlkampf schlägt Purzelbäume. Im Herbst noch lagen die Tories in den Umfragen scheinbar uneinholbar vor der regierenden Labourpartei von Premierminister Gordon Brown. Dann aber setzte die Konkurrenz zu einer fulminanten Aufholjagd an: Jetzt liegt Labour nur noch vier bis fünf Prozent hinter den Tories – alles scheint wieder offen bei der Wahl, die Brown bis spätestens Juni ansetzen muss.

Starke Nerven

Die Finanz- und Wirtschaftskrise setzt den Tories zu, sie schafft erhebliche Verunsicherung beim Wahlvolk – zu Recht, denn in der Schuldenkrise wird die Insel mittlerweile in einem Satz mit Staaten wie Griechenland oder Portugal genannt.

So sehr diese Vergleiche hinken, so beängstigend sind doch die Fakten. Die Neuverschuldung etwa soll in Großbritannien 2010 zwischen 12,6 und 12,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Zum Vergleich: Bei Griechenland rechnet die EU-Kommission mit einem Minus von 12,7 Prozent.

Die Arbeitslosigkeit stagniert auf vergleichsweise hohem Niveau; die Konjunktur kommt nur langsam in Fahrt. Eigentlich sollten die Tories leichtes Spiel bei der Parlamentswahl haben.

Tatsächlich haben Brown und seine Partei trotz der Umfrage-Rückstände, die teilweise mehr als 20 Prozent betrugen, starke Nerven gezeigt. Im Wahlkampf zieht der Premier alle Register. In einer TV-Show kämpfte Brown, der sich sonst kaum private Regungen in der Öffentlichkeit erlaubt, sogar mit den Tränen.

Vor allem aber scheint der Premier immer noch von seinem Ruf als solider Finanzpolitiker zu profitieren. Den hat er sich als Schatzkanzler von seinem Vorgänger im Premierministeramt, Tony Blair, hart erarbeitet. In der Krise handelte Brown bisher zwar mäßig erfolgreich. Angesichts der Lage scheinen viele Briten allerdings das Altbewährte dem Neuen vorziehen zu wollen.

Eine gefährliche Entwicklung für Camerons Wahlkampf. Er hat die Tories in den vergangenen Jahren rundum erneuert. Gegen starken innerparteilichen Widerstand setzte er deren Öffnung zur politischen Mitte hin durch. Das unerklärte Ziel: Er will den Ruf der sozialen Gefühlskälte loswerden, der den Tories seit der Thatcher-Ära anhängt.

Cameron hat die wirtschaftsliberalen und antieuropäischen Strömungen in der Partei eingedämmt; er kämpft für mehr Klimaschutz. "Tory Blair" nennt der Volksmund Cameron mittlerweile auch.

Der lachende Dritte

Geholfen hat das offenbar nur bedingt. Als kürzlich der Vize-Parteichef und Multimillionär Lord Ashcroft einräumen musste, einen großen Teil seines Einkommens nicht ordnungsgemäß in Großbritannien, sondern im mittelamerikanischen Sonnenparadies Belize zu versteuern, wurde sofort wieder breit debattiert, wie sozial die Tories tatsächlich seien.

Keine Frage, der Skandal hat die Partei im Schlusspurt vor der Wahl schwer behindert. Cameron muss das Gespenst des Thatcherismus möglichst schnell wieder in die Flasche bekommen. Mit Pech könnte den Tories selbst ein kleiner Wahlvorsprung nicht reichen, um zu regieren – das liegt am Zuschnitt der Wahlkreise, der Labour Vorteile verschafft. Ungewöhnlich genug, könnte es im britischen Parlament diesmal zu keiner klaren Mehrheit kommen, obwohl das Merheitswahlrecht dies eigentlich begünstigt. Dann könnte die Stunde einer dritten Partei schlagen: Der Liberaldemokraten, die derzeit drittstärkste Partei im Unterhaus sind. Sie wären dann die Königsmacher – und somit die eigentlichen Gewinner der Wirtschaftskrise.