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Drei Hartz-IV-Familien klagen vor dem Bundesverfassungsgericht "Man kann die Kinder nicht verkommen lassen"

09.02.2010, 05:15

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 08.02.2010 23:00:00
Von Frank Leth

Seit fast fünf Jahren kämpfen drei Hartz-IV-Familien aus Dortmund, dem bayrischen Landkreis Lindau und dem nordhessischen Eschwege vor Gericht für höhere Regelsätze für ihre Kinder. 207 Euro im Monat sind zu wenig, klagen sie. Am Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das Hartz-IV-Gesetz gegen das Grundgesetz verstößt – mit Folgen für 1,7 Millionen Kinder, die Hartz IV beziehen.

Die drei klagenden Familien erklären übereinstimmend, dass die Leistungen "vorne und hinten nicht reichen". Kinder unter 14 Jahren erhielten im Jahr 2005 60 Prozent des Hartz-IV-Satzes eines alleinstehenden Erwachsenen – monatlich 207 Euro. Der pauschale Betrag von 60 Prozent sei vollkommen willkürlich gewählt, der eigentliche Bedarf eines Kindes könne damit nicht gedeckt werden, argumentierten die Kläger.

Das sahen das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel und das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt genauso. Sie legten das Hartz-IV-Gesetz Karlsruhe zur Prüfung vor. Die Darmstädter Richter befanden, damit werde nicht einmal das Existenzminimum gedeckt. Das BSG monierte, dass der Gesetzgeber erst gar nicht ermittelt habe, was ein Kind zum Leben braucht.

Auch liege eine Ungleichbehandlung vor, da Kinder von arbeitslosen, aber erwerbsfähigen Eltern mit Hartz IV auskommen müssten, während Kinder von erwerbsunfähigen Eltern – also Sozialhilfeempfängern – zusätzlich zu ihren Sozialhilfeleistungen einen Mehrbedarf geltend machen können. "Die Kinder können doch nichts dafür, ob ihre Eltern erwerbsfähig sind oder nicht", sagt Max Eppelein, Justiziar beim DGB-Rechtsschutz, der die Familie aus Lindau vor dem BSG vertreten hat.

"Meine drei Jungs wachsen wie die Spargel", sagt der Vater der Familie. Da werde oft neue Kleidung gebraucht. Mehr Geld für zu klein gewordene Schuhe gebe es aber trotzdem nicht. Da müssten dann die Eltern bei sich selbst noch mehr sparen. "Man kann die Kinder ja nicht verkommen lassen", so der Vater.

Martin Reucher, der Anwalt der Dortmunder Familie, wendet sich gegen die strikte Pauschalierung. Denn die Pauschalen gingen immer von Durchschnittswerten aus. "Was ist, wenn man nicht mehr durchschnittlich ist und die Kinder besonders schnell wachsen oder Medikamente brauchen", fragt er.

Verfassungswidrig sei auch, dass 2005 kein Unterschied zwischen dem Bedarf von Kleinkindern und älteren Kindern gemacht wurde. Die Bundesregierung besserte schließlich nach. Seit 1. Juli 2009 erhalten Sechs- bis einschließlich 13-Jährige nicht mehr 60 Prozent, sondern 70 Prozent des Eckregelsatzes, also statt 215 insgesamt 251 Euro. Diese Regelung ist allerdings bis Ende 2011 befristet. Außerdem erhalten Schulkinder seit Sommer 2009 monatlich 8,33 Euro zusätzlich ausgezahlt.

Selbst bei einem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht ist noch nicht klar, ob die Kläger eine Nachzahlung erhalten. "Entscheidet das Gericht, dass den Familien rückwirkend Geld zusteht, erhalten sie es auch. Setzen die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber aber nur eine Frist, bis wann er das Gesetz korrigiert haben muss, wird es für die Kläger keine Nachzahlung geben", sagt Eppelein. (epd)