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Bischöfin Margot Käßmann steht heute 100 Tage an der Spitze der evangelischen Kirche in Deutschland Start mit Kontroversen und ungewohnt starkem Gegenwind

05.02.2010, 05:03

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Wernigerode PZS: WR Prio: höchste Priorität IssueDate: 04.02.2010 23:00:00
Von Michael Evers

So viel Gegenwind war Margot Käßmann bisher nicht gewöhnt: Seitdem Hannovers populäre Bischöfin als neue Chefin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den bisherigen Afghanistan-Kurs infrage gestellt hat, muss sie sich gegen heftige Kritik zur Wehr setzen. Ihre ersten 100 Tage als EKD-Ratsvorsitzende waren geprägt von ihrer in der Neujahrspredigt gezogenen Bilanz: "Nichts ist gut in Afghanistan."

Unter anderem für die Fähigkeit zu solchen klaren Worten war Käßmann als erste Frau an die Spitze der rund 25 Millionen Protestanten in Deutschland gewählt worden. Sie soll der Kirche zu einem deutlichen Profil verhelfen – auch wenn es die Tagespolitik betrifft und über Religiöses hinausgeht. Schon oft ging es Käßmann darum, in sozialen Fragen bei der Politik Gehör zu finden – sei es in Sachen Kinderarmut, Pflegenotstand oder beim Umgang mit Flüchtlingen.

Ihr Zwischenruf zur Situation in Afghanistan war den Politikern nun jedoch offenbar zu laut – auch wenn Käßmann vom friedenspolitischen Kurs ihrer Kirche nicht abgewichen ist. Zu tun hat dies nach Einschätzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch damit, dass Käßmanns Wort nun mehr Gewicht hat, als zur Zeit, als sie ausschließlich Bischöfin in Hannover war. Denn egal in welcher Funktion sie auftritt: Alles, was sie sagt, gilt nun schnell als die Sichtweise der evangelischen Kirche.

Angesichts der Afghanistan-Debatte trat in den Hintergrund, dass es Käßmann immer wieder gelingt, dann bei den Menschen zu sein, wenn auch Kirchenferne Halt bei Gott suchen. Nach dem Selbstmord des Fußballnationaltorwarts Robert Enke, als Zehntausende in Hannover trauernd durch die Stadt zogen, sprach Käßmann bei einer Andacht tröstende Worte. Und auch bei weniger traurigen Anlässen gewinnt Käßmann Menschen und Herzen auf ihre frische und sympathische Art – und darauf ist die unter Mitglieder- und Finanzschwund leidende Kirche angewiesen.

Keinen Sinn für den Charme der einst als jüngste Bischöfin ins Amt gewählten Theologin bewies die russisch-orthodoxe Kirche: Weil mit Käßmann erstmals eine Frau – und dazu noch eine geschiedene – an die Kirchenspitze aufrückte, wollten Funktionäre den Dialog mit den Lutheranern aufkündigen. Die EKD setzte daher die Beziehung zu den Orthodoxen auf Sparflamme. Das Oberhaupt der größten orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill I., kritisierte nun erneut Käßmanns Wahl und warf der EKD eine Mitschuld am Werteverfall in der Gesellschaft vor. "Viele Protestanten versuchen nicht einmal, die christlichen Werte in der weltlichen Gesellschaft zu predigen, sondern passen ihre Standards an."

Für Missklang sorgte Käßmann ebenfalls beim Vatikan mit der Aussage, sie erwarte von Benedikt XVI. in der Ökumene "nichts". Der für die Ökumene zuständige Kurienkardinal Walter Kasper wies sie daraufhin hart zurecht. Käßmann bemühte sich um Schadensbegrenzung: Ihr sei nicht an einem Streit mit der katholischen Kirche gelegen. Denn zum Streiten hat Käßmann eigentlich auch keine Zeit. Als starke Führungsperson soll sie den Reformkurs der Kirche fortführen, den ihr Amtsvorgänger, der Berliner Ex-Bischof Wolfgang Huber, eingeschlagen hatte. (dpa)